dark destiny
Seilschlingen schienen sich zu wehren. Wenn ich mit den Fußspitzen danach tastete, rutschten sie mir weg. Bei den Waldleuten hatte es so leicht ausgesehen, wie sie die Leitern hoch- und runterhuschten.
Als ich oben ankam und durch eine Luke ins Baumhaus gelangte, war mein Rücken nass geschwitzt. Jamie und Myria folgten mir mit etwas Abstand. Keiner von ihnen hatte mich zur Eile gedrängt. Ihre Geduld war bewundernswert.
»Setz dich doch«, sagte Myria und nahm selbst auf einem Kissen auf den Bodendielen Platz. Ich wollte sie nicht brüskieren, tat dennoch nicht sofort, was sie sagte. Der Ausblick war so beeindruckend, dass ich mich nicht vom Fenster losreißen konnte, obwohl die Höhe in meinem Magen ein flaues Gefühl verursachte. Es war nicht besonders windig, dennoch brachte jede kleine Böe die Hütte leicht zum Schwanken. Ich drehte mich erst um, als Myria ihre Aufforderung wiederholte.
Jamie, der mit einem Kessel hantierte, lebte spartanisch und ordentlich. In offenen, in die Wände eingearbeiteten Holzschränken standen ein paar Teller und Tassen. Außer dem Teekessel gab es keine Töpfe, aber ich konnte auch keine Kochstelle erkennen, vermutlich kochten sie nur unten an den Feuern. Auf dem Boden lagen ein paar alte Polster und Kissen zum Sitzen und in einer Ecke, die hinter einem Vorhang halb verhüllt war, erkannte ich die Umrisse einer Matratze. An der gegenüberliegenden Wand hingen Jamies Waffen - und es waren einige - griffbereit an Haken. Mit Sicherheit gab es noch irgendwo Schreibzeug und ein paar persönliche Gegenstände, aber ich konnte nichts entdecken.
Jamie trug die Teetassen zu den Sitzkissen, daher ließ auch ich mich nun nieder und trank einen ersten Schluck. Der Tee schmeckte nur schwach nach Kräutern - vermutlich mussten auch die Waldleute im Winter sparsam damit umgehen -, war aber so stark mit Honig gesüßt, dass er auf meinen Lippen klebte. Er war so heiß und mein Körper so ausgekühlt, dass er in meiner Kehle und in meinem leeren Magen regelrecht brannte.
»Trink langsam«, sagte Myria freundlich. Auch Jamie nahm einen winzigen Schluck.
Ich machte mir keine Illusionen, sie könnten ihre Meinung geändert haben und mich vielleicht doch freilassen, aber offenbar wollte man fair mit mir umgehen, ehe man mich offiziell zur Handelsware erklärte, und dafür war ich dankbar.
Ich hatte im letzten Jahr gelernt, dass Menschen - und nicht nur die - oftmals genau das taten, wozu sie aufgrund der Umstände gezwungen waren. Das hielt meinen Groll klein, und dass Myria und Jamie freundlich zu mir waren, auch wenn sie es sich leichter machen könnten, tat sein Übriges.
»Du wolltest reden, Joy«, sagte Jamie. »Ich will versuchen, offen zu dir zu sein. Erwarte dir davon nicht zu viel.«
»Wir sagen dir, was wir können«, ergänzte Myria. Ihr Lächeln sagte sehr ehrlich ein einziges Wort: Entschuldige. »Aber du musst verstehen, dass wir dir nichts sagen können, was unseren Clan in Gefahr bringt.«
Ich schüttelte langsam den Kopf. »Ein solches Dorf schützt man nur, wenn man äußerste Vorsicht walten lässt. Und ... die eigenen Interessen wahrt. Nur die eigenen.« Jamie wirkte eine Sekunde lang erstaunt. Er nahm einen Schluck Tee und instinktiv griff auch ich zu meiner Tasse und führte sie an meine Lippen. Mir war das oft bei Matthial aufgefallen: Wenn er diskutierte, spiegelte er die Gesten und Worte seines Gegenübers und nicht selten verhalf das zu mehr Einigkeit. Leider gab es einen Menschen, bei dem sämtliche Tricks scheiterten: Matthial.
»Es freut mich, dass du verstehst -«, sagte Jamie, doch ich hob die Hand und unterbrach ihn.
»Ich verstehe, aber das heißt nicht, dass ich es hinnehme.« Ich lächelte. »Ich würde es genauso machen wie ihr«, eine Lüge, aber auch das Lügen hatte ich bei Matthial gelernt, »und ebenso würdet ihr versuchen zu entkommen. Wie ich es tun werde.«
Die beiden wechselten einen Blick. Myria zuckte mit den Schultern und schien mich wahrhaftig zu bedauern. Jamie konnte ich nicht einschätzen. So wie er mich musterte, hätte ich darauf gewettet, dass er mit der Idee spielte, mich für seinen Clan anzuwerben.
Doch dann stellte er seine Tasse energisch auf dem Boden ab und räusperte sich. »Wie dem auch sei, du wirst verstehen, dass ich nicht ewig Zeit habe. Eine Reise muss organisiert werden, eine nicht ganz ungefährliche Reise. Stell deine Fragen, damit ich an die Arbeit gehen kann.«
Ich atmete ein und sammelte meinen Mut, aber ehe ich
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