dark destiny
fing. Das Atmen fiel mir schwer, als hockte jemand auf meiner Brust. Ich befeuchtete meine trockenen Lippen mit der Zunge und blickte mich nach Tom und Tara um, ich wollte sie um Wasser bitten. Alles, was ich sah, war ein einziger, klobiger Schatten, der sich zu murmelnden Lauten im Rhythmus eines Liedes bewegte, das ich von irgendwoher kannte. Ich lauschte und hörte zwischen summenden Lauten einzelne Zeilen heraus.
»Wo sind all die Engel hin«, sang Tara, »von denen uns der Vater sang.«
Es war ein altes Kinderlied. Ich wagte es nicht, mich zu bewegen, aus Angst, sie zu stören. Es war, als betastete ich die Scherben ihrer Vergangenheit. Und die meiner eigenen.
Ich hätte ihnen gerne geholfen, diese Engel zu finden. Doch wenn man es genau nahm, wusste ich nicht einmal, was Engel waren. Ich entsann mich nicht, woher ich dieses Lied kannte, es musste zu lange her sein, dass ich es gehört hatte. Mein Vater hatte mir nie von Engeln gesungen.
• • •
Ich rappelte mich auf. Meine Muskeln schmerzten, meine Füße waren taube Eisklumpen und die Bisswunde in meinem Nacken brannte - aber im Großen und Ganzen war ich in Ordnung. Ich hatte geschlafen und war satt. Der Morgen graute. Ich hatte ein Ziel. Wenn ich sofort aufbrach und die hellen Stunden zum strammen Wandern nutzte, standen die Chancen gut, dass ich den Weg zur Stadt rasch fand. Wieder stach mich der Gedanke an Rogue wie ein Splitter in der Haut. Beim Gedanken daran, dass er vermutlich irgendwo dort draußen lag, hätte ich meinen Aufbruch am liebsten verschoben und stattdessen nach ihm gesucht.
Doch auch wenn der Tag jung war, die nächste Nacht lauerte bereits hinter dem Horizont. Sobald sie anbrach, wollte ich zumindest vor den Ratten sicher sein. Toms stechende Blicke waren ein weiteres Argument, rasch aufzubrechen. Er wollte mich so schnell wie möglich von hier forthaben, was ich ihm nicht verdenken konnte. Ich fühlte es so deutlich, wie ich spürte, dass Blut durch meine Adern floss. Er hatte Angst, dass ich Tara dazu brachte, mit mir zu gehen. Dass ich sie dorthin brachte, wo man so lebte, wie ich es kannte.
Aber welches Recht hatte ich, ihr Leben zu bewerten? Lebte ich denn besser? Oder Amber, die sich gebrochen und in ewiger Angst in Clouds Haus versteckte und wohl nie mehr den Schatten ihrer früheren Qualen entkommen würde? Gerade Amber war der beste Beweis: Es stand mir nicht zu, das Leben anderer Menschen verändern zu wollen, nur, weil es nicht in mein Bild passte.
Ich sah Tom lange an und er erwiderte meinen Blick, als würde er durch mich hindurchschauen, mich nicht mehr wahrnehmen.
Morgen schon, versprach ich ihm in Gedanken, bin ich nur noch eine Erinnerung.
• • •
Tara packte mir schweigend ein bisschen Fleisch ein und gab mir ihr Schultertuch als Schutz gegen die Kälte.
Ich hatte das Gefühl, in absolute Fremde aufzubrechen, als ich die
Sicherheit ihrer kleinen Siedlung verließ, dabei war es doch Neel, zu dem ich wollte.
Aber was erwartete ich mir von dem Wiedersehen? Würde ich ihn überhaupt finden? Die Vorstellung, er könnte an seinen schweren Verletzungen gestorben sein, ließ ich nicht zu, doch es gelang mir auch nicht, mir den Neel vorzustellen, der er früher gewesen war. Folter hinterließ Spuren. Nicht nur auf der Haut. Vor allem tief darunter. Wollte er mich überhaupt noch sehen? Er war zweifelsfrei schwer verletzt und ich konnte ihn nicht von seinen Verletzungen heilen. Ich war das Messermädchen gewesen und als solches war ich zum Soldaten herangewachsen. Nun war ich eine Frau, die nur die Kraft des Messers und des Soldaten besaß: Ich konnte Dinge zerstören, zerschneiden, trennen und töten.
Was, zur höllischen Sonne noch mal, wollte ich von Neel? Ich konnte nichts für ihn tun, vermochte nicht, ihn zu heilen, und besaß nichts, was ihn trösten würde. Ganz im Gegenteil: Wenn ich zu ihm ging, standen die Chancen nicht schlecht, dass er weitere Probleme bekam.
Ich wandte mich noch einmal um. Tara winkte mir und griff dann nach Toms Hand. Er streichelte ihre Wange, vielleicht strich er eine Träne fort - ich war bereits zu weit entfernt, um es zu erkennen.
Und all meinen Zweifeln zum Trotz ging ich schneller und schneller, bis ich beinahe rannte. Es war die Hoffnung, die mich in die Stadt und zu Neel trieb. Hoffnung, dass wir zusammen irgendeine Lösung fanden.
Verlockende, trügerische, gefährliche Hoffnung.
11
woran kann ein mann glauben,
der sich selbst nicht mehr vertraut?
Einen
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