dark destiny
Versuch, neue Percents zu erschaffen. Bei dem Genmaterial aus der Zeit vor der Übernahme - das die Grundlage eines jeden Percents darstellte, auch die der optimierten - handelte es sich um winzige Embryonen, konserviert in einer Nährflüssigkeit, die sie nicht wachsen ließ, aber lebensfähig hielt. Diese gingen nun zur Neige und bisher war es nicht gelungen, sie zu rekonstruieren. Weder auf natürlichem Weg noch in den Laboratorien gelang es, lebensfähige Percent-Babys zu schaffen. Der Vorrat an Embryonen war während der Angriffe am Blutsonnentag schwer dezimiert worden und mittlerweile so gering, dass in jedem Jahr nur noch ein Dutzend in weibliche Gebärmütter verpflanzt wurden, von denen im besten Fall zehn lebend geboren wurden.
Erst jetzt, seitdem er der Triade angehörte, bekam Cloud zu Gesicht, wie dramatisch es wirklich um sein Volk stand. Es existierte kein Dutzend Embryonen mehr, ab dem nächsten Jahr würde es keinen Nachwuchs mehr geben.
»Verstehst du, was das bedeutet, Neel? Denk an die Männer, die da draußen herumlaufen - denk an die Schwachköpfe aus deinem
Regiment. Was passiert wohl, wenn diese tumben Kerle erfahren, dass unsere Art im Sterben liegt und sie gegen einen Feind kämpfen, der bereits gewonnen hat, ohne dass er es weiß? Sie würden Amok laufen, Neel. Innerhalb weniger Tage wäre sämtlicher Glaube in die Führungsriege verloren. Wer folgt einer Triade, die dem Untergang nur hilflos zusehen kann? Männer ohne ein Ziel lassen sich nicht mehr führen und Männer ohne Führung sind so gefährlich wie außer Kontrolle geratene Tiere. Vielleicht sind all meine Versuche, uns zu retten, vergebens. Aber auch wenn dem so ist und unser Untergang nicht mehr aufzuhalten, darf niemand davon erfahren.«
Neel hatte schweigend zugehört. Was sich als still nagende Sorge schon lange in ihm geregt hatte, war nun Gewissheit. Er hatte es sich nicht eingebildet, dass auf den Straßen immer weniger Kinder spielten und dass die wenigen, die es gab, überbehütet und eingesperrt wurden, als seien sie rohe Eier. Es erfüllte ihn mit einer seltsamen Mischung aus Melancholie, Trauer und bitterer Genugtuung: Die Triade setzte, seit er denken konnte, auf Kampf und Krieg und musste nun mit ansehen, dass es Probleme gab, die sich nicht mit Waffen bekämpfen ließen.
Konnte es ihm nicht egal sein, ob es weitere Percent-Kinder gab oder nicht? Musste er sich nicht eingestehen, dass das Aussterben seiner Art den Krieg beenden würde? Doch etwas in ihm argumentierte dagegen. Es wäre alles umsonst gewesen. Der Krieg, all die Zerstörung, Dark Canopy, die Unterdrückung. Er selbst wäre nichts als ein vorbeifliegender Schatten, der nichts Bleibendes auf der Erde hinterließ.
Doch obwohl Neel Clouds Angebot abgelehnt hatte, war ihm bewusst geworden, dass er nicht so weitermachen konnte wie bisher. Es hatte keinen Zweck, seine Leute zu schikanieren und zu besseren Soldaten zu machen, damit sie effektiver Tod und Verderben bringen konnten, nur um anschließend selbst zu sterben, zu verrotten und vergessen zu werden. Davon abgesehen würde Cloud seine Drohung wahr machen - er würde ihn schon bald degradieren lassen. Es war an der Zeit, sich eine neue Aufgabe zu suchen.
Doch was sollte es zu tun geben, was würde man ihm schon überlassen? Er dachte an Graves, den klugen, besonnenen Graves, dessen Aufgabe darin bestand, Müll zu den Halden zu tragen und Böden zu wischen. Niemand gab einem Krüppel mit zerstörter Haut eine bessere Arbeit.
Ohne dass er seinen Weg bewusst gewählt hatte, fand Neel sich in der Nähe des Mondlichts wieder, der Bar, in der er zu viel Zeit seines früheren Lebens in Bechern und Krügen ertränkt hatte. Vielleicht würde Graves ja recht behalten und er würde sich noch um den Verstand saufen.
Das Risiko ging er ein.
Er musste sich eingestehen, dass manche Schmerzen nachließen und die meisten Begehren einschliefen - aber es gab Gefühle, die bekam man nicht einmal mit Feuer aus dem Geist gebrannt.
Was er nun brauchte, war ein wenig Stille im Kopf und Erinnerungen an das Leben zuvor - an das Leben vor Joy und den Rebellen und der Sonne, die seine Haut durchbrochen und ihre hässliche Signatur in sein Fleisch gebrannt hatte.
Was er brauchte, war etwas Kaltes zu trinken.
10
Hoffnung ist die einzig wahre gefahr
In der Nacht verwirbelte ein verwirrender Traum zu einer irrealen Wirklichkeit. Der Raum war erfüllt von Rauch, in dem sich das rötliche Leuchten der sterbenden Glut
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