dark destiny
lange, ehe er antwortete. »Dass die Rebellen mich gefangen genommen haben, daran ist keiner meiner Freunde schuld. Es war meine eigene Schuld. Ich war einfach nicht vorsichtig genug.«
»Nein!« Edison stand auf und wandte sich um, als wollte er von der Mauer in den Innenhof springen und Neel allein zurücklassen. »Wenn Joy deine Freundin wäre, hätte sie dich gerettet! Freunde helfen sich.«
Einen Augenblick lang flutete Angst Neels Geist. Angst, der Kleine würde ihn tatsächlich einfach stehen lassen. Angst, er würde zu seinem Mentor flüchten, um genau so zu werden, wie dieser und die Triade ihn haben wollten. Er riss sich zusammen und straffte die Schultern. »Joy hat alles versucht.«
Der Junge knickte ein, sank auf dem Mauersims zusammen wie ein Häufchen Elend. »Wenn ich in solcher Gefahr wäre«, begann er unsicher, warf einen Blick auf Neels Narben und erzitterte, »würdest du es dann auch nur versuchen? Und fortgehen, wenn du es nicht schaffst?«
Jetzt war es Neel, der am liebsten weggelaufen wäre. Aber das konnte er nicht; auch wenn er sich selbst aufgegeben hatte - den Jungen zu enttäuschen, war keine Option. »Das ist etwas anderes, Zwerg.«
»Warum?« Edisons Augen baten nicht nach einer Antwort, die ihm Sicherheit versprach, sie bettelten darum, und Neel wurde mit einem Mal bewusst, wie klein der Junge in Wirklichkeit noch war, auch wenn seine Beine lang wurden und seine Schultern Muskeln ansetzten. »Weil wir Brüder sind?«
Neel hielt seinem Blick stand, auch wenn er lieber weggesehen hätte. Er erkannte jetzt den Vorteil seiner Narben. Wenn ihm vor Scham das Blut ins Gesicht stieg, bemerkte das niemand mehr.
»Ja, Zwerg. Weil wir Brüder sind.«
16
alte schuld kann man nicht wiedergutmachen,
doch man kann sie mit neuer verdecken.
Das gestohlene Trinkwasser reichte nicht, um das Blut des Percents von meiner Haut zu waschen. Ich rieb mich mit grauem Schnee ab, aber es half nicht. Der Geruch klebte an mir, ich nahm ihn selbst dann noch wahr, als ich mit angehaltenem Atem weiterrannte.
Ich hatte meinen Stiefel zurück, dafür lag das Messer des Kriegers nun auf der anderen Seite des Zauns. Es war mir egal. Weniger gleichgültig ließ mich die Wunde an meiner Schulter. Mein Leben hatte mir viele Wunden zugefügt, aber nach der Blutvergiftung im letzten Jahr war ich ängstlicher geworden. Das Messer war wirklich sehr schmutzig gewesen und ich hatte nicht mehr tun können, als etwas Wasser darüberlaufen zu lassen. Mein Pullover unter der Felljacke war nun nass und ich fror schlimmer als in der Nacht.
Der Stadtkern tauchte wie eine dunkle Bedrohung vor mir auf. Aus der Entfernung wirkte es, als wären alle Mauern zu einer verschmolzen - selbst der Himmel schien aus Steinen.
Ein Teil von mir wollte umkehren und wieder die Freiheit der Wildnis aufsuchen. Ein anderer Teil drängte mich voran. Er ist dort - wenn er wirklich nicht tot ist, dann ist er dort! Ich muss ihn sehen.
Indem ich mir in Erinnerung rief, wie oft ich bereits in die Stadt gelangt und wieder entkommen war, versuchte ich mich zu beruhigen. Ich konnte jederzeit wieder fliehen.
Vorsichtig schlich ich mich an den ersten Häusern vorbei und entsann mich der lebensrettenden Verhaltensregel: zügig gehen -kein Mensch streifte ohne ein Ziel durch die Straßen. Ich war eine gehorsame Frau, die einer Arbeit nachging (und jedem Problem weiträumig aus dem Weg). In respektvollem Abstand und mit gesenktem Kopf passierte ich die ersten Percents und gewann langsam meine alte Sicherheit zurück.
Sobald ich im Besitz der mir zustehenden Städtermarke war, konnte mir nichts mehr passieren. Nichts allzu Dramatisches. Jedoch nur, solange niemand erfuhr, dass ich die Zaunwache getötet hatte.
Allerdings durfte ich mich keiner Illusion hingeben: Ins Hotel zu spazieren und die Marke einzufordern, war zu riskant. Ich brauchte Hilfe und der einzige Ort, wo ich auf diese hoffen konnte, war Flagg's Boulder.
Ich erreichte die alte Villa ohne Zwischenfälle. Sie hatte sich von außen kaum verändert. Direkt vor der Haustür stand ein vollkommen verrostetes altes Auto ohne Reifen. Dem Haus fehlten mehr Fensterläden als im letzten Jahr. Eisblumen zierten die Fenster und die Räume dahinter waren allesamt dunkel. Ich atmete enttäuscht aus, es schien niemand da zu sein. Doch dann fiel mir siedend heiß ein, dass Alex blind war. Also klopfte ich beherzt an die Tür, schloss die Augen und lauschte auf Schritte.
• • •
Alex war nicht zu
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