dark destiny
misstrauisch machen. Neel führte Ambers Pferd in einen kleinen Fichtenhain. Aufgrund der Entfernung, des widrigen Wetters und der mit Frost behangenen Nadelbäume konnten die Männer sie nun nicht mehr sehen.
»Osten«, flüsterte er und nickte in eine Richtung, »liegt dort. Ich gehe jetzt pinkeln. Wenn ich zurückkomme, kannst du weit genug fort sein.«
Amber atmete vernehmlich ein und zum ersten Mal hatte Neel das Gefühl, sie würde ihn ansehen und nicht durch ihn hindurch.
»Viel Glück, Amber.«
Er wandte sich ab, trat an eine Fichte heran und heftete den Blick auf die Eiszapfen, die von den Zweigen hingen. Mit starren Augen wartete er auf das Knirschen von Hufen im Schnee, aber es kam nicht. Er konnte Ambers Pferd atmen hören. Es stand bewegungslos da.
Verdammt, Mädchen, warum haust du nicht ab? Er konnte sie nicht zwingen, zu flüchten und beim nächsten Clan Zuflucht zu suchen. Der Grund dafür war weniger sein eigener Hass auf Jamie, sondern vielmehr die Tatsache, dass er nichts über diesen Mann wusste. Wer sagte denn, dass es für Amber ein geringeres Übel war, bei Jamie zu leben als bei ihm? Vielleicht ritt sie nicht davon, weil sie Jamie ebenso fürchtete wie er.
Neel schüttelte die Bedenken ab. Nein, vermutlich hatte sie nichts gegen Jamie. Sie hatte schlicht und einfach den Verstand verloren.
Amber ritt nicht davon. Das Pferd trat stattdessen langsam näher an Neel heran, als hätte es Angst, mit dem Geistermädchen allein gelassen zu werden.
Frustriert wandte er sich um. Und registrierte noch, dass Amber nach ihm trat, bevor er einen gewaltigen Stoß gegen den Kopf bekam und wie ein Stein zu Boden fiel.
• • •
Sie gaben die Suche auf, als die Nacht den Wald in vollkommene Finsternis getaucht hatte. Selbst der hartnäckigste der vier Krieger sah nun ein, dass es keinen Sinn mehr hatte, weiter nach Amber zu suchen.
»Vergiss es, Hauptmann. Es hat keinen Zweck, wir riskieren nur die Knochen unserer Pferde. Wir sollten sie aufgeben, weit kommt sie eh nicht.«
Beinahe hätte Neel erleichtert aufgeatmet, doch er durfte sich keinesfalls etwas anmerken lassen. Plan B hätte darin bestanden, ihnen weiszumachen, dass er Amber im Wald hatte töten wollen und sie entkommen war. Selbst als Lüge eine bittere Vorstellung - er hoffte, sie nicht auftischen zu müssen. Außerdem war es wichtig, nun schnellstmöglich weiterzureiten. Valeria wartete schon viel zu lange und es stand zu befürchten, dass sie seinem Rat folgen und ebenfalls in Richtung der Rebellenclans laufen würde, wenn sie annehmen musste, nicht mehr abgeholt und in die Stadt zurückgebracht zu werden.
Innerlich grinste Neel. Amber hatte tatsächlich getan, was er ihr gesagt hatte, und war geflohen. Nun gut, ihn niederzutreten und dabei seine Nase zu brechen, war nicht Teil des Plans gewesen, aber er konnte ihr nicht übel nehmen, dass sie auf Nummer sicher gegangen war. Die Freilassung hätte ebenso gut eine perfide Falle sein können. Sein schlechtes Gewissen kitzelte ihn unter der Schädeldecke. Eine Heldentat war es wahrlich nicht gewesen. Er hatte sich mehr als einmal bei dem Gedanken daran erwischt, dass der Seelenhändler Jamie bestimmt eine gute Verwendung für das Geistermädchen hatte.
Doch im Grunde erleichterte es ihn, dass Amber offenbar doch nicht den Verstand verloren hatte, wie alle sagten, und das wiederum erleichterte sein Gewissen, immerhin war er nicht unschuldig an ihrer Lage.
Neel schob die Hände in die Taschen, um sie vor dem Weiterreiten etwas aufzuwärmen. Und erstarrte. Die Pistole. Sie war weg.
Neel behielt den Diebstahl für sich. Er wollte unter den Männern keine Unruhe verbreiten. Dass die Flüchtige bewaffnet war, würde ihnen kaum gefallen. Sie würden die Suche sofort wieder aufnehmen, um die Waffe nicht den Rebellen zukommen zu lassen. Davon abgesehen würden sie ihn verspotten.
Verdammt, er hatte nichts gemerkt, rein gar nichts! Sie musste die Waffe gestohlen haben, als er einen Moment ohnmächtig gewesen war. Sein Schädel brummte noch immer von ihrem Tritt sowie von der Frage, die er sich unablässig stellte, seit er den Diebstahl bemerkt hatte: Woher hatte Amber von der Waffe gewusst?
• • •
Je näher sie dem Blauen See kamen, umso heller schien es zu werden. Die gefrorene Wasseroberfläche reflektierte das Mondlicht, sodass es aussah, als ginge unter dem Eis ein zweiter, viel größerer und hellerer Mond auf.
Als Neel das Mädchen schattenhaft am Ufer stehen sah, wo sie wie
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