Dark Future: Herz aus Eis
letzten Nacht hatten die Scheinwerfer der Eispiraten ihn nicht geblendet. Er konnte in stockfinsterer Dunkelheit sehen. Und in der ersten Nacht, als er von Big Lucs Schlägen eigentlich grün und blau hätte sein müssen, wenn nicht sogar halb tot, hatte er kein Zeichen von Beschwerden oder Verletzungen gezeigt.
Sehr seltsam.
Sie schüttelte den Kopf. Das ging sie nichts an.
»Die Rebellen müssen zumindest
ein bisschen
Geld haben. Sie haben
dich
angeheuert«, sagte sie.
Unter den Wimpern hervor blickte sie ihn an und konnte nicht verhindern, dass ihr auffiel, wie sich die Muskeln unter seinem Thermoshirt bewegten, als er sich streckte. Sein Gesicht zeigte keine Spur von Müdigkeit, keine Schatten zeugten von Anspannung oder Nervosität. Sie brauchte keinen Spiegel, um zu wissen, dass das für sie nicht galt. Wie konnte jemand nach einer durchwachten Nacht noch so gut aussehen?
Plötzlich wurde ihr klar, was sie gerade dachte, und sie wollte sich selbst dafür treten. Was sollten die Gedanken über Wizards gutes Aussehen? Sein hübsches Gesicht würde ihr nicht das Geld bringen, das sie wollte.
»Wie auch immer. Egal, wie viel Geld die Rebellen haben – es wird nicht annähernd so viel sein wie das Preisgeld von fünfzig Millionen Interdollar, das ich in Gladow kassiert hätte. Aber im Augenblick würde ich jede vernünftige Entschädigung annehmen. Die Rebellen sind meine einzige Chance. Es ist ja nicht so, als würde irgendjemand sonst Waffen kaufen, die ich praktisch vom Neuen Kommando entwendet habe.«
Wizard fuhr sich mit der Hand über sein stoppeliges Kinn und wandte den Kopf, um sie anzusehen. Er ertappte sie dabei, wie sie ihn beobachtete. Die Intensität seines Blicks ließ sie erstarren. Als er sprach, war sein Tonfall so ausdruckslos, als würde er aus purer Neugier fragen. Dennoch vermutete sie, dass mehr dahintersteckte. »Und wenn du die Rebellen aufspürst, verrätst du sie später an
Janson Transport
oder das Neue Kommando? Sie würden dir eine beachtliche Prämie zahlen, wenn du ihnen den genauen Ort eines großen Rebellen-Camps verrätst. Das würde deine Entschädigung enorm erhöhen.«
Sie wollte ihn schlagen – und zwar richtig. Er hatte offenbar keine hohe Meinung von ihr. »Wer zum Teufel bist du, dass du meine Integrität anzweifeln kannst?«, fragte sie knapp. »Ein Auftragsmörder«, stieß sie hervor. »Ein Söldner, der sich an denjenigen verkauft, der am meisten bezahlt. Gibt es irgendetwas, das
du
für Geld nicht tun würdest?«
Er legte den Kopf schräg, als würde er ernsthaft über die Frage nachdenken. »Ja, Raina Bowen«, sagte er schließlich. »Es gibt Dinge, die ich für Geld nicht tun würde.«
»Wie tröstlich.« Dem Drang widerstehend, ihn zu fragen, was das für Dinge sein könnten, hatte sie die Worte eine Spur sarkastisch klingen lassen, obwohl seine Antwort seltsamerweise
tatsächlich
tröstlich war. Es gab Dinge, die er für Geld nicht tun würde. Irgendwie war es ihr wichtig, dass er gewisse Moralvorstellungen hatte.
Jämmerlich.
Sie verfiel einem hübschen Gesicht. Einem perfekten Körper. Einem verzerrten Ehrenkodex.
Scheiße.
Nein. Sie verfiel ihm nicht. Sie war klüger. Oder nicht? Seufzend legte sie den Gang ein und fuhr langsam rückwärts aus der schmalen Eisspalte. Mit den Plünderern und den
Janson
-Leuten im Nacken würde sie weder den ICW noch den I-Pole nehmen können. Die Rebellen waren die günstigste Möglichkeit. Ihre einzige Möglichkeit.
Als sie die Eisberge hinter sich ließ, blickte sie sich langsam um und suchte im fahlen Licht den Horizont ab. Sie spürte, dass Wizard ebenfalls aufmerksam die Gegend beobachtete. Eine flache, gefrorene Fläche glitzerte schwach im Licht der bevorstehenden Morgendämmerung. Es gab kein Versteck für die Eispiraten. In der Ferne konnte sie den zerklüfteten Grat des gigantischen Gletschers sehen, den sie in der vergangenen Nacht passiert hatten. Der größte Teil des Eisbergs lag unterhalb der Oberfläche des Eises, nicht zu sehen, und nur ein kleiner Teil seiner beeindruckenden Größe ragte in den Himmel. Raina warf Wizard einen Blick zu und fragte sich unwillkürlich, welche Tiefen unter der Oberfläche dieses Söldners verborgen lagen, der die Dreistigkeit besaß, ihre Moral anzuzweifeln und sie zu fragen, ob sie die Rebellen verraten und verkaufen würde.
»Egal … Um deine Frage zu beantworten: Nein, ich würde den Rebellen nicht in den Rücken fallen«, sagte sie. »Wenn ich das wollte, warum
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