Dark Future: Herz aus Eis
hatte. »Scheiße. Willst du mir damit sagen, dass all die Geschichten stimmen? Dass ihr in einem Labor aufgewachsen seid, betreut von einem Computer?« Sie verschluckte sich beinahe an den nächsten Worten, denn sie wusste, dass er ihr genau das damit sagen wollte. »Dass ihr lebendig begraben wart und dass die Leichen eurer Geschwister in einer Art Tiefkühltruhe gelagert wurden?«
»Korrekt. Bis auf eine Kleinigkeit. Nicht alle ursprünglichen Versuchsmodelle waren meine genetischen Geschwister, obwohl alle drei überlebenden Geschöpfe sich dasselbe genetische Material teilen.«
Raina setzte sich auf, zog die Knie an die Brust und schlang die Decke bis zum Hals um sich, als könnte sie das vor diesem Horror bewahren. Sie streckte den Arm aus und legte zaghaft die Hand auf seinen Arm. Er starrte hinunter auf ihre Hand, und seine Miene wirkte überrascht.
»Ach«, sagte er und hob die Augen, um sie anzusehen. »Du spendest mir Trost?«
»Möchtest du meinen Trost?« Sie fühlte sich unbehaglich, unsicher, wie sie weitermachen sollte. Emotionale Interaktion zählte nicht gerade zu ihren Stärken. Für gewöhnlich war sie die Letzte, die jemandem Trost anbot, aber aus irgendeinem Grund wollte sie es bei Wizard.
»Das ist nicht nötig. Ich übermittle nur historische Fakten, Raina.«
Sie schüttelte den Kopf und wollte sich zurückziehen, doch er hielt sie davon ab, indem er seine große Hand auf ihre schlanken Finger legte. Vorsichtig sah er sie an, rückte dann ganz langsam von ihr ab und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand, ohne sie loszulassen. Es wirkte fast so, als wüsste er nicht, ob er auf Abstand gehen oder sich ihr weiter nähern sollte, ob er ihren Trost annehmen oder sie wegstoßen sollte. Verdammt, aber sie hätte schwören können, dass er genauso verwirrt war wie sie.
Wizard trommelte sacht mit einem Finger auf ihren Handrücken. Raina beobachtete die kaum merkliche, rhythmische Bewegung und fragte sich, warum sie ihr überhaupt auffiel. Er hatte es zuvor auch schon getan, als die Eispiraten zum ersten Mal hinter ihnen her gewesen und ihre Trucks auf dem Radar aufgetaucht waren. Und noch ein Mal hatte sie es gesehen, doch sie konnte es nicht mehr genau einordnen.
»Das Neue Kommando hat Sam befohlen, uns zurückzulassen. Es sollten keine Ressourcen geopfert werden, um Fehler der Alten Führung zu korrigieren.«
»Er sollte euch zurücklassen?« Raina wurde übel. Jemand hatte befohlen, dass Sam diese Kinder, dass er Wizard in dieser alptraumhaften unterirdischen Zelle zurücklassen sollte. Eine Hölle, die die Regierung erschaffen hatte. »Wer würde so etwas befehlen?«
»Duncan Bane.«
Sie atmete scharf ein.
Ja, ich habe etwas gegen Mr. Bane,
hatte er gesagt.
Tja, kein verfluchtes Wunder.
»Sam hat das abgelehnt.« Wizard blickte sie an, und seine grauen Augen wirkten leer und distanziert. »Ich erinnere mich daran, seine Worte gedämpft durch die Wand hindurch mit angehört zu haben. Etwas an seinem Tonfall war mir fremd. Ich hatte Wut nie gehört, aber jetzt weiß ich, dass Sam wütend war. Und dass er Angst hatte. Er hat uns befreit und einen hohen Preis dafür bezahlt. Es tut mir leid, Raina. Es waren die Ereignisse jenes Tages und alles, was anschließend kam, was Sam Bowen zu dem Vater gemacht hat, den du kanntest. Ich hätte es dir früher erklären sollen. Bevor wir …«
Sie spürte, wie er sich zurückzog, spürte, wie er ihr entglitt und sich hinter einer Schutzmauer versteckte. Es war genauso wirksam, als hätte er sich körperlich von ihr entfernt. Er bewegte sich, und ihre Hand rutschte ab und landete auf der Decke. Der Kontakt war abgebrochen.
»Tu das nicht. Wage es nicht, das zu tun.« Sie konnte es nicht ertragen, dass er sich distanzierte, und sie konnte nicht verstehen, warum er es tat. Für gewöhnlich zog sie es vor, eine gesunde Distanz zu wahren, doch bei Wizard war es etwas anderes: Sie wollte ihn berühren, wollte die Wärme seiner Haut spüren.
Seinetwegen war sie froh, am Leben zu sein, froh, menschlich zu sein und fähig zu sein, Gefühle zu haben, zu denken. Und zu lieben. Froh, mit ihm zusammen zu sein.
Verflucht erbärmlich.
Ein Mann, der sich fast wie eine Maschine verhielt, weckte in ihr menschliche Gefühle. An diesem Bild stimmte einiges nicht.
Er starrte sie so lange an, dass sie sich fragte, ob er verstanden hatte, was sie meinte. Dann ergriff er ihre Hand und sagte: »Entschuldige bitte.«
»Ich will deine Entschuldigung nicht. Ich will
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