Dark Inside (German Edition)
kannibalisieren, wenn man so will. Denk an die großen Kulturen der Vergangenheit. Maya. Azteken. Römer. Alle sehr fortgeschritten für ihre Zeit. Und alle zerstört und verschwunden. Sie haben nichts hinterlassen, nur ein paar Hinweise für Leute wie mich, die sie dann ausgraben.«
Twiggy deutete auf ein Bild an der Wand. Hunderte von Toten, die zu Leichenbergen aufgetürmt waren. »Murambi Technical School in Ruanda«, sagte er. »Der Genozid einer gesamten Kultur. Hunderttausende wurden getötet. Mit Macheten in Stücke gehackt. Abgeschlachtet. Kein schöner Anblick, nicht wahr?«
»Das ist krank.«
»Jetzt sind wir an der Reihe, uns von innen heraus aufzufressen. Es ist etwas geschehen, das die Zerstörung auf eine universale Ebene gebracht hat. Wir sind nicht länger eine Anhäufung von Gesellschaften, die vom Ackerbau leben. Wir haben uns auf die ganze Erde ausgedehnt und sind zu groß geworden. Und jetzt sorgt irgendetwas dafür, dass wir durchdrehen. Wir haben keinen freien Willen mehr. Menschen sind wie Hunde. Es gibt einen Rudelführer, der uns in den Untergang führt. Aber bevor es dazu kommt, taucht immer erst mal jemand oder etwas auf und wirft uns einen Knochen vor die Füße. Philosophen behaupten gern, dass wir einen freien Willen haben, aber ich glaube, die Mehrheit der Menschen kann gar nicht anders, als hinterherzulaufen. Was auch immer diese Sache steuert, es hat sich den perfekten Zeitpunkt für seinen Angriff ausgesucht. Ich glaube, es waren die Erdbeben. Hast du gewusst, dass Tiere sie im Voraus fühlen können? Das ist eine Tatsache. Aber irgendetwas hat die Erde gespalten und dieses Etwas ist wütend. Es ist gekommen, um uns zu holen. Und wir haben es eingeladen.«
»Die Scheiße glaube ich nicht.«
»Es ist egal, was du glaubst. Meinst du etwa, das hier wird aufhören oder sich ändern, weil du vergessen hast, wie der schwarze Mann aussieht? Vielleicht ist es deshalb so wütend. Es mag nicht, wenn man es vergisst. Und deshalb hat es beschlossen, ein bisschen Leben in die Bude zu bringen.«
Twiggy nahm das Album an sich und blätterte noch einige Seiten weiter, bis er zu einem Bild völliger Zerstörung kam. Eine Frau hielt ihr totes Kind in den Armen, das Gesicht verzerrt, während sie versuchte, nicht zusammenzubrechen. Hinter ihr lagen mehrere Leichen in einer Reihe. Menschen stolperten zwischen den Trümmern herum und suchten verzweifelt nach Angehörigen. Ein anderes Bild – die Leichen von zwei jungen Mädchen, Seite an Seite, die auf der Straße verwesten, weil niemand da war, um sie zu begraben.
»Früher hat es auch schon Erdbeben gegeben«, wandte Mason ein.
»Stimmt. Und vielleicht lauerte das Böse auch schon während dieser Katastrophen«, entgegnete Twiggy. »Vielleicht wurden einige falsch interpretiert. Wir müssten uns ansehen, ob es eine Verbindung gibt. Aber das spielt jetzt keine Rolle mehr. Ich glaube nicht, dass ich heute noch irgendwo Forschungsmaterial herbekomme. In Millionen von Jahren werden sie die Überreste unserer Städte aus der Erde ausgraben, um zu verstehen, was unseren Untergang verursacht hat. Stell dir mal vor, was sie von unseren Laptops und Mikrowellen halten werden.«
»Ich glaube nicht an das Böse.«
»Ich sage es noch einmal: Wir sind nur kleine Spielfiguren in dieser Sache. Glaube hat damit nichts zu tun. Nach allem, was wir wissen, könnte dieses Böse die Dinosaurier ausgerottet haben. Vielleicht war es ja auch ein Meteor. Oder vielleicht ist Geschichte auch nur als eine Laune Gottes zu verstehen – mit ihr haben wir schließlich etwas, über das wir uns auf Dinnerpartys streiten können.«
Durch das geschlossene Fenster drang das gedämpfte Geräusch von splitterndem Glas. Mason erstarrte und er ärgerte sich, dass er überhaupt noch darauf reagierte. Twiggy zuckte nicht einmal zusammen. Wie lange würde es dauern, bevor Schreie und splitterndes Glas bei Mason nicht einmal ein Blinzeln auslösten? Würde er jemals so ruhig werden wie der Alte vor ihm? Wenn er nicht mehr so nervös wäre, würde er nachts vielleicht sogar schlafen können.
»Es wird bald dunkel«, sagte Twiggy. »Ich würde dich ja einladen zu bleiben, aber wie du siehst, bin ich nicht auf Gäste eingerichtet.« Er wies auf das schmale Bett.
»Ich muss sowieso weiter«, erwiderte Mason, während er aufstand. »Sie wissen nicht zufällig, wo es hier einen Autohändler gibt?«
»Moment.« Twiggy humpelte zur Kommode und zog eine Schublade auf. Er holte einen
Weitere Kostenlose Bücher