Dark Inside (German Edition)
stolperten und stürzten, als sie versuchten, ins Freie zu gelangen. Da der Bus auf der Seite lag, konnten sie die Tür nicht benutzen, daher nahm jemand einen der Nothämmer von der Wand und zertrümmerte die Frontscheibe. Eine Frau, deren Arm in einem merkwürdigen Winkel gebeugt war, kletterte über das Lenkrad nach draußen. Andere suchten das Innere des Busses nach Freunden und Familienangehörigen ab. Sie sah, wie Colin über den Körper der älteren Frau stieg. Sein Fuß landete auf einer der Mandarinen und zertrat sie zu einem matschigen Brei.
»Hilf mir!«, rief sie ihm zu. »Ich kann Sara nicht finden.«
Doch Colin ignorierte sie. Sie sah ihm an den Augen an, dass er fest entschlossen war, ins Freie zu gelangen. Sein Blick war ziellos und wirr. Die Haare standen ihm vom Kopf ab und seine Wangen starrten vor Dreck. Sie hatte ihn noch nie so schmutzig gesehen. Selbst seine Fingernägel waren immer peinlich sauber gewesen. Er ging an ihr vorbei und würdigte sie keines Blickes.
Sie überlegte, ob sie ihm etwas nachrufen sollte, doch es würde wahrscheinlich zwecklos sein. Stattdessen konzentrierte sie sich darauf, zwischen den am Boden liegenden Menschen nach ihrer Freundin zu suchen. Sie hörte Stimmen, die um Hilfe riefen. Ein Mann schrie nach seiner Mutter und flehte sie an, zu ihm zu kommen, weil er nicht wusste, wo er war. Schmerz und Tod waren überall. Einige der Leute streckten mit letzter Kraft ihre Hände nach ihr aus und Aries half mit, einen Mann unter einer bewusstlosen Frau hervorzuziehen. Er hatte sich den Knöchel gebrochen, der bereits angeschwollen war, schaffte es aber trotzdem, in den vorderen Bereich des Busses zu kriechen. Sie suchte weiter nach Sara, fand sie aber nicht.
»Vielleicht ist sie draußen«, sagte der Junge. Sie nickte und wehrte sich nicht, als er den Arm um sie legte. Aus irgendeinem Grund schien es jetzt das Richtige zu sein. Sein Körper war warm und die Muskeln unter seiner Jacke pressten sich an sie und trösteten sie.
Vielleicht war es Sara ja gelungen, ins Freie zu kommen?
Zwischen zwei zertrümmerten Sitzen lag eine hochschwangere Frau, die aufzustehen versuchte. »Bitte helft mir!«, bat sie.
Der Fremde ließ Aries los und sie stützten die halb bewusstlose Frau. Blut floss über ihre Stirn, mit der sie gegen das Fenster geprallt war. Zu dritt kletterten sie durch die Frontscheibe nach draußen auf die zerstörte Straße. An der Bushaltestelle standen Bänke. Sie begleiteten die Frau hinüber und halfen ihr, sich zu setzen. Eine Frau kam zu ihnen, um ihre Hilfe anzubieten. Aus einer Platzwunde an ihrer Stirn floss Blut, doch sie kniete sich neben die Schwangere und redete beruhigend auf sie ein.
Das Erste, was Aries auffiel, war die Stille. Um sie herum standen so viele Leute, von denen viele blutüberströmt und verletzt waren. Doch sie schwiegen alle. Sie liefen herum und einige halfen sich gegenseitig, aber kaum jemand sagte etwas.
Von der Straße war nicht mehr viel übrig. Der Beton war auseinandergebrochen und zu großen Haufen zusammengeschoben worden. Überall lagen Glassplitter, die unter ihren Füßen knirschten. Die Sonne würde gleich untergehen, der Himmel war mit Rosa- und Violetttönen überzogen. Lange Schatten krochen über den Boden. Normalerweise würden sich um diese Zeit die Straßenlampen einschalten, doch da der Strom ausgefallen war, würde es kein Licht in der Stadt geben. Bald würde alles stockdunkel sein. Aries schauderte. Der Gedanke, nach Sonnenuntergang auf der Straße zu sein, genügte, um ihr das Gefühl zu geben, wieder fünf Jahre alt zu sein und Angst vor den Ungeheuern unterm Bett zu haben.
Das Gebäude an der Ecke war in sich zusammengefallen. Es war einmal ein Supermarkt gewesen, doch jetzt war nur noch ein Haufen Schutt davon übrig. An der Stelle, an der der Parkplatz sein musste, lagen umgestürzte Einkaufswagen. Einige der Räder drehten sich noch. Wie viele Leute waren in dem Supermarkt gefangen? Auf dem Parkplatz standen Dutzende Autos, von denen viele auf die Seite gekippt waren. Es roch durchdringend nach Gas.
Während Aries an der Längsseite des Busses entlanglief, musterte sie die Gesichter der Menschen. Sie ging von Gruppe zu Gruppe, bückte sich, um sich Leute anzusehen, die auf dem Boden lagen. Viele waren benommen und schienen starke Schmerzen zu haben, doch sie kannte niemanden. Sara war nicht unter ihnen.
Einer der Autofahrer holte einen Erste-Hilfe-Kasten aus dem Kofferraum seines Wagens. Er machte
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