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Dark Love

Dark Love

Titel: Dark Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lia Habel
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begleitete Nora die Stufen hinauf zum Hauptdeck. Wir nahmen wieder Fahrt auf und sanken dabei ab, die Seile knarrten in ihren Halterungen und Noras Haar flatterte im Wind um ihr Gesicht. »Das ist es«, sagte sie, während sie zum Bug rannte. Der Löwe schien aus marmoriertem grauem Stein gehauen zu sein, doch Coalhouse hatte recht: Er war leicht durchscheinend und wirkte beinahe überirdisch. Ich musste ein paar Mal blinzeln. Bei meiner ohnehin leicht verschleierten Sicht machte er auf mich eher den Eindruck einer durch Drogen hervorgerufenen Halluzination als den einer realen Statue.
    »Ich sehe niemanden auf dem Dach«, sagte Nora und beugte sich über die Reling, um besser sehen zu können. Ich hakte einen Finger in den Bund ihres Rocks. Sie entschied, es durchgehen zu lassen, und lehnte sich noch weiter vor.
    »Vielleicht sind sie noch im Gebäudeinneren«, meinte ich. »Wenn es sein muss, gehen wir eben rein.«
    »Ich hoffe nur, dass ihnen nichts passiert ist«, sagte sie und lehnte sich zurück gegen meine Hand. Ich befreite sie aus dem Gurt und ließ sie stattdessen zwischen ihren Schulterblättern ruhen. Sie schüttelte sie nicht ab. »Sie ist für mich wie eine Schwester«, verriet sie mir mit leiser Stimme. »Du weißt, was es heißt, eine Schwester zu haben.«
    Ich blieb stumm, denn das wusste ich tatsächlich.
    »Macht euch bereit zum Andocken!«, rief Renfield aus dem Schiffsraum hinauf.
    Ich legte meinen Arm um Noras Schulter, um sie neben mir in die Knie zu zwingen. Sie gab meinem Druck nach und ihr Gesicht war dem meinen in der Dunkelheit sehr nahe. Ich konnte die Hitze ihres Atems auf meiner Haut spüren und staunte darüber. Meine Sinne registrierten alles an ihr sogar in diesem Augenblick bemerkenswert genau. Als wir gegen die Seite des Gebäudes prallten, umfing sie haltsuchend mein Knie und ich nutzte die Situation schamlos aus und drückte sie noch fester an mich, wenn auch nur für einen Moment.
    »Bist du sicher, dass du da reingehen willst?«, fragte ich.
    Nora nickte. »Ich muss. Wann immer ich sie gebraucht habe, ist sie gekommen – vielleicht nicht gerade so, mit Rüstung und Gewehren und so, aber sie hat sich um mich gekümmert, wenn ich selbst es nicht konnte. Es ist mir egal, was mit mir passiert, solange sie nur in Sicherheit ist.«
    Das Gefühl kannte ich. »Mach dir keine Sorgen. Ich bin bei dir.« Was auch immer aus mir wurde, ich würde Nora hier herausholen. Ich musste es. Ich könnte niemals in Frieden sterben, wenn ihr etwas zustieße.
    Nora lachte leise. »Ja, das bist du.« Sie sah mir in die Augen, während ihre Miene sich wieder glättete und nur ein merkwürdiges kleines Lächeln zurückließ, das ihren Mund umspielte.
    Sobald das schwankende Schiff zur Ruhe gekommen war, stand ich auf. Nora packte meine Hand und zog sich daran hoch. Der Rest der Crew, alle außer Renfield, kamen die Stufen hinauf und gesellten sich zu uns.
    »Ren bleibt beim Schiff«, sagte Tom, als auch er seine Leuchte aktivierte.
    Ich zog die Maske aus meiner Tasche und streifte sie mir über. »Okay, gehen wir.«
    Gerade als Tom und Coalhouse die Gangway ausschwenkten, verschwand der Steinlöwe vor uns. Das Leuchten der Stadt, das uns bisher, wenn auch schwach, umgeben hatte, erlosch. Ich zog das Gewehr, hielt den Lauf aber nach oben gerichtet.
    »Der Strom ist ausgegangen«, sagte Nora. »Das ist alles. Vielleicht mussten sie die Stationen aufgeben.«
    Chas drückte auf die elektrische Lampe an ihrem Gürtel und alle anderen folgten ihrem Beispiel. Das gelbliche Licht konnte die gähnende Dunkelheit jedoch kaum zurückdrängen. »Dann beeilen wir uns wohl besser. Wenn sie nämlich noch immer dort drin sind, im Dunkeln …«
    Nora rannte die Gangway hinunter. Die anderen folgten ihr und zogen dabei ebenfalls die Waffen. Nur ich blieb wie angewurzelt stehen und starrte entsetzt auf die Stadt unter mir. Die ganze Straße entlang erloschen der Reihe nach die Hologramme und der sie umgebende Lichtschein verglomm. Was von oben aus der Luft wie eine imposante Stadt mit großen, säulenverzierten Gebäuden und verschnörkelten Wandmalereien ausgesehen hatte, war zu einer Reihe hässlicher Betonschalen geworden. Endlose Schneisen nackter Vierecke wie vorzeitig gesetzte, unbeschriftete Grabsteine. Der Anblick jagte mir einen Schauer über den Rücken und fesselte mich länger, als gut war.
    »Bram?«, rief Tom.
    Ich drängte das, was ich gerade mit angesehen hatte, in einen hinteren Winkel meines Verstandes

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