Dark Love

triumphieren lassen. Allein unsere Anwesenheit an diesem Ort ist schon ein Schlag für den Feind.«
    Donnernder Applaus folgte auf diese Worte.
    »Wie immer ist es mir eine Ehre, Ihnen den Premierminister Neuviktorias vorzustellen, Mr.   Aloysius Ayles.«
    Alle erhoben sich, um den Premierminister, der jetzt die Bühne betrat, willkommen zu heißen. Mr.   Ayles war erst Ende vierzig, doch in die Winkel seiner Augen und seines Mundes hatten sich bereits tiefe Falten gegraben. Er hatte eine melassefarbene Haut, schwarzes Haar und einen dazu passenden Schnurr- und Kinnbart. Er ähnelte seinem Vater sehr, der sich schon vor Jahren aus dem gesellschaftlichen Leben zurückgezogen hatte.
    Er bedeutete uns, wieder Platz zu nehmen. »Ich bedaure«, begann er in seinem gewohnten direkten Ton, »Ihnen keine Neuigkeiten bezüglich des Angriffs auf Miss Nora Dearly mitteilen zu können. Natürlich sind alle unsere Gebete mit ihr.«
    Ich kämpfte gegen ein neues Aufwallen von Tränen an.
    »Ich habe Sie sehr kurzfristig eingeladen, was mir leidtut. Ich hätte diese Ansprache schon früher halten sollen. All meine Aufmerksamkeit war auf das Bestreben gerichtet, unsere besten und fähigsten Männer mit der Aufgabe zu betrauen, die Schufte, die das getan haben, aufzuspüren und sie vor Gericht zu bringen.
    Von der Front kann ich Ihnen berichten, dass wir drei Kompanien zurückbeordern, um sie näher an der Heimat zu haben. Darüber hinaus organisieren wir unsere Truppen neu, um die Präsenz an jeder Front, an der es Kampfhandlungen gibt, erhöhen zu können. Außerdem gibt es ein beständig wachsendes Einsatzkommando, das allein mit der Aufgabe betraut ist, Miss Dearly ausfindig zu machen und sie heil nach Hause zu bringen.«
    Die Spannung in seiner Stimme wuchs mit jedem Wort. »Was ist der Grund für diesen Angriff? Ging es um Mord, Vergewaltigung und Plünderung? Es gab keinerlei Berichte über Todesfälle, keine Hinweise darauf, dass auch andere Häuser als das des verstorbenen Dr.   Dearly angegriffen wurden. Es handelte sich eindeutig um eine zielgerichtete Mission. Worin lag der Sinn dieser Attacke?
    Ich glaube, sie haben es getan, um uns zu terrorisieren. Um uns Angst einzujagen. Um unser Leben zu beeinträchtigen. Das alles ist nichts Neues. Dinge wie diese geschehen, seit Menschen Angst empfinden können.«
    Meine Schultern waren verkrampft und ich versuchte, sie zu lockern. Ich sah meine Familie an. Dad lauschte aufmerksam der Rede, Mum weinte ein bisschen. Isambard sah sich um, während er gleichzeitig versuchte, nicht zu wirken, als würde er sich nicht umsehen. Seine Haltung schien laut herauszuschreien: » Adoptiert mich! Irgendjemand! Bemerkt und adoptiert mich! « Ayles senkte den Blick auf das Podium und nahm einen Stapel Papiere auf. Er hielt sie für das Publikum hoch. »Laut meiner Notizen sollte ich Ihnen jetzt sagen, dass unsere Vorfahren nicht vor etwas davon liefen, sondern nach etwas strebten. Dann sollte ich damit fortfahren, Ihnen zu erklären, was an diesem etwas die Punks so abstößt. Aber heute Morgen habe ich beschlossen, Sie nicht auf diese Weise zu bevormunden. Sie alle kennen unsere Geschichte. Sie alle wissen, was uns zum stärksten Volk des Kontinents macht.
    Nach einer langen Zeit, die von Blut und Tränen regiert wurde, haben wir unsere Augen auf einen Stern gerichtet und sind zu einer Gesellschaft des Anstandes, der Ordnung und der Schönheit zurückgekehrt. Wir haben uns entschieden, die zu ehren, die ihr Leben ließen, um uns unseren Platz in der Geschichte zu geben, indem wir einen Ort schufen, der der Aufmerksamkeit wert ist. Wir befürworten Dinge wie Militärkraft, einen hohen Standard in Benehmen und Moral und technologischen Fortschritt.
    Was uns wirklich zum stärksten Volk des Kontinents macht, ist die Tatsache, dass es selbst einer Gruppe, die diese Werte ablehnt – eine Gruppe, welche die Menschheit in ein neues Mittelalter stürzen will –, gestattet ist, ihre Meinung kundzutun. Es ist ihr gestattet zu wachsen, zu existieren und, auch nachdem diese Gruppe sich zu einer terroristischen Vereinigung entwickelt hat, auf ihrem eigenen Land zu leben – auf Land, das vormals jenen gehörte, die sie bekämpft haben und noch bis heute bekämpfen!« Er war gezwungen, innezuhalten, denn der Applaus übertönte selbst seine verstärkte Stimme.
    »Sie erwarten, dass die Angst uns zu dem machen wird, was sie sind: engstirnig und blindwütig. Doch unsere Gesellschaft wird offen und frei