Dark Love
haben. Damals wurde jeder lebende Mensch, der sich bereit erklärte, bei diesem Projekt mit den Toten zusammenzuarbeiten, wie ein Held empfangen. Samedi war schon hier, als Wolfe anfing. Er hat mir erzählt, dass Wolfe offensichtlich begeistert war von der Idee, dass Tote etwas zur nationalen Sicherheit beitragen könnten. Ich weiß auch nicht, was ihn seitdem so verändert hat.«
Sie ging nicht darauf ein. Als sie wieder sprach, stellte sie mir eine weitere Frage.
»Kann ich dich um einen Gefallen bitten?«
»Um welchen?«
»Kann ich heute Nacht bei dir schlafen?«
Ich erstickte beinahe.
Ihre Augen weiteten sich wieder, dann lachte sie nervös. » Nein! Ich meine … hier gibt es keine Schlösser und ich fühle mich nicht so sicher wie in deinem Zimmer. Kann ich dortbleiben, nur noch für eine Nacht? Wir könnten ja tauschen.«
Ich räusperte mich und atmete pfeifend aus. »Na klar, kein Problem!«
Nachdem wir unsere Teller abgewaschen hatten, brachte ich sie hinüber. Sie legte ihren Beutel wieder auf das Bett und nahm langsam die Waffen ab. Ich zog eine Tasche aus dem Schrank und begann, ein paar Dinge einzupacken. Ich war mir bewusst, dass sie mich beobachtete, auch wenn wir schwiegen.
Als ich meine Schreibtischschublade aufzog, um mein Tagebuch herauszuholen, fragte sie schließlich doch etwas. »Wer ist das auf dem Bild?«
Ich wandte mich um, funkelte sie an und meine Nackenmuskeln verspannten sich vor Ärger. »Du hast meine Sachen durchwühlt?«
Wenigstens sah sie verlegen aus. »Ja, es tut mir leid. Ich wollte nur sehen …« Sie zog einen Flunsch. »Und überhaupt, wenn du in einem fremden Zimmer aufgewacht wärst, hättest du doch auch alles durchsucht, um irgendeinen Hinweis oder so zu finden, oder?«
Das hätte ich. Ich beruhigte mich wieder, öffnete das Buch und betrachtete das Foto, das auf dem Bildschirm erschien. »Das bin ich mit meinen kleinen Schwestern. Mein Freund Jack hat es aufgenommen.«
Nora setzte sich auf das Bett und zog die Knie an die Brust. Dann schlang sie die Arme um die Beine. »War das, bevor du gestorben bist?« Ihre Stimme klang sanft.
Sie wollte also meine Geschichte hören. Jetzt. Klasse. Ich wollte nicht reden. Ich hatte Angst, zu viel zu verraten. Aber als ich sie ansah, fiel mir ein, wie viel man mir schon über sie erzählt hatte, und mir wurde klar, dass es nur fair war.
Langsam ließ ich mich auf meinen Schreibtischstuhl sinken. »Ich komme aus einer Kleinstadt namens West Gould. Eigentlich ist es nur eine Straße mit ein paar Geschäften für die Farmer in der Umgebung. Wir sind auch Farmer … na ja, wir waren es. Das mit der Erde dort ist so eine Sache. Nachdem man den Wald gerodet hat, ist sie einfach herrlich und man kann fast alles darauf anbauen. Aber die Erdschicht ist sehr dünn. Nach ein paar Jahren ist sie nutzlos und man muss sie wieder dem Wald überlassen.«
»Was habt ihr angebaut?«
»Vieles. Mais. Granatäpfel.« Das alles kam mir inzwischen so unwichtig vor. »Nachdem wir uns entschlossen hatten, dem Wald wieder seinen Willen zu lassen, habe ich mir Arbeit in den Kohleminen von East Gould gesucht. Dort gibt es immer noch eine Menge Kohle, tief unten. Es war gute Arbeit, wenn auch gefährlich. Mum hat genäht und gewaschen, aber es gibt so wenige Menschen um East Gould herum. Sie hat getan, was sie konnte. Sie hätte vielleicht irgendwo anders Arbeit finden können, aber sie musste ja auf meine Schwestern aufpassen …« Ich fuhr mit dem Daumen über den Bildschirm. »Adelaide und Emily.«
»Wie alt warst du da?«, wollte Nora wissen. Sie hatte ihr Kinn auf die Knie gelegt. »Wenn du mit sechzehn der Armee beigetreten bist …«
»Ich bin der Armee nicht lebend beigetreten.«
Nora blieb still.
»Sie haben uns in den Minen überfallen. Eine ganze Horde von ihnen.« Ich versuchte, schnell zu sprechen, um es sowohl ihr als auch mir leichter zu machen. »Sie haben Jack erwischt. Haben ihm die Kehle herausgerissen. Ich schaffte es, uns in einen der großen Aufzüge zu retten und die Tür zu schließen, aber da war ich schon gebissen worden … und für ihn war es zu spät. Sie jagten uns und beobachteten mich, während ich uns einschloss. Sie sahen zu, wie er starb. Und sie versuchten noch immer, uns doch noch zu erwischen, und warfen sich gegen die Tür.«
Ich sah Nora an. In ihrem Gesicht spiegelte sich Kummer. Ich konnte es nicht ertragen und blickte schnell wieder nach unten.
»Ich habe den Aufzug zur Oberfläche genommen. Keiner
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