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Dark Love

Dark Love

Titel: Dark Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lia Habel
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die Kette von dem Metallpflock, der im Boden steckte, um seine Finger nicht zu nahe an die Zähne des Tieres geraten zu lassen. Der Hund rannte nicht davon, sondern setzte sich nur hin und wartete ab. Er schien sich nicht sicher zu sein, ob er von seiner plötzlichen Freiheit Gebrauch machen sollte oder nicht.
    »Die Flucht ist nicht unser Ziel«, erklärte ich Henry, während ich mir meine zerfetzte Jacke überzog. »Unser Ziel ist es, für genug Ablenkung zu sorgen, um an die Funkausrüstung im Hauptgebäude heranzukommen. Wenn es uns gelingt, ein Signal an meinen Stützpunkt zu schicken, können wir danach einfach abwarten.«
    »W-was ist mit den Fahrzeugen?«
    Damit hatte ich nicht gerechnet. »Entschuldigung, mit den was?«
    »Dann haben Sie a-also noch nicht den ganzen Stützpunkt gesehen?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    Henry bot mir seinen Arm als Stütze und deutete mit einem Kopfnicken auf die Tür. Ich tat, was er vorschlug. Er führte mich nach draußen, in die kühle Nachtluft. An den Palisaden des Forts waren Fackeln angebracht worden und im Innern brannten zahlreiche Lagerfeuer. Sogar mit Henrys Hilfe war es anstrengend, auf einem Bein vorwärts zu hopsen, aber zum Glück führte er mich nur an ein paar Hütten vorbei, bevor er stehen blieb und nach vorne deutete.
    »Können Sie es … sehen?«
    Ich strengte meine Augen an. Zuerst war es schwer, etwas zu erkennen, denn meine Augen hatten sich noch nicht vollständig an das Dämmerlicht gewöhnt, das trotz der Feuer noch immer herrschte. Doch endlich brachte ich es fertig, Formen in den Schatten zu erkennen und das, was ich sah, in meinem Kopf zu einem Bild zusammenzusetzen.
    Avernes kleiner Armee standen etwa zwanzig verrostete Panzer zur Verfügung. Es waren die unterschiedlichsten Modelle und Fabrikate und ein paar von ihnen waren mit alten Teilen von Zügen oder Pflügen oder anderen schweren Maschinen ausgebessert worden. Ich war fasziniert.
    Aber nicht sehr hoffnungsvoll.
    »Das Problem ist, wenn wir einen dieser Panzer nehmen, dann bleiben immer noch genug übrig, mit denen sie uns verfolgen können. Und sie werden uns verfolgen. Es ist unmöglich, uns heimlich mit einem davon aus dem Staub zu machen.« Ich traf meine Entscheidung. »Ich glaube immer noch, dass wir es zuerst mit dem Funk probieren sollten. Aber wenn uns keine andere Wahl bleibt … da haben Sie recht. Dann könnten wir versuchen, die Panzer zu erreichen.«
    »W-was ist mit den anderen?«, fragte er mit bebender Stimme, als ich ihn drängte, zur Hütte zurückzukehren.
    »Wenn Sie gezwungen sind, irgendjemanden zu töten, dann töten Sie Averne. Soweit ich es beurteilen kann, hat er keine Lebenden unter seinem Kommando, nur Tote.« Als wir wieder in der Hütte angekommen waren, ließ ich mich schwer auf das Bett sinken. »Ohne viel Verstand sind die Toten keine besonders loyalen Soldaten. Und sie werden ohnehin zu sehr mit dem Feuer beschäftigt sein.«
    Henrys Blick fiel auf die Fläschchen, die auf einem Handtuch aufgereiht auf einer der Kisten lagen. Ich hatte unter der Ausrüstung keinen passenden Ständer für sie finden können. Ich nahm zwei der Fläschchen, wickelte sie in ein Baumwolltuch und steckte sie in die Innentasche meiner Jacke. Dann zog ich wieder die Spritzen unter dem Bett hervor und verstaute sie in der anderen Innentasche.
    »Ich habe n-noch nie jemanden g-getötet«, keuchte Henry. In seiner Stimme lag Verzweiflung.
    O nein, nicht jetzt.
    »Ich will nur … l-lassen Sie mich … d-darüber nachdenken. Ich … ich habe n-nie …« Haltsuchend ging er langsam auf die Kiste zu.
    Ich versuchte, ihn am Ellbogen zu fassen. »Henry, beruhigen Sie sich.«
    Er riss seinen Arm los. Sein Blick senkte sich auf mich. Auf seinem Gesicht breitete sich ein Ausdruck puren Entsetzens aus, als er sah, was ich war, und endlich wirklich verstand, dass es ihm genauso erging.
    Während meiner Forschungen habe ich entdeckt, dass nach dem bloßen Erfassen der Tatsache, dass man gestorben ist (»Ich bin tot? Das würde allerdings erklären, warum mein Herz nicht mehr schlägt. Klingt logisch.«), noch eine zweite Krise durchlaufen werden muss. Und jener Moment hüllt einen ein wie ein berstender Kristall aus tausend Fragen und Empfindungen. Man bemerkt, dass man seinen Körper nicht mehr so fühlen kann wie zuvor. Man bemerkt, dass das eigene Fleisch tot ist, dass es langsam verwest und zu etwas Krankem und Abscheulichem wird. Der Hunger trifft einen jetzt mit voller Macht, begleitet

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