Dark Love
Sie haben viele Körperteile, die man jetzt ohne jede Schwierigkeit entfernen kann – während Sie zusehen.«
»N-natürlich.«
Mit diesen Worten wandte Averne sich ab und stapfte hinaus. Wir beide blieben stumm und lauschten seinen sich entfernenden Schritten.
Henry drehte sich zu mir um. »Das w-würde ich Ihnen niemals antun.«
»Das hoffe ich«, entgegnete ich und setzte mich wieder auf das Bett. Es würde nicht leicht werden, sich mit der Krücke zwischen den Kisten zu bewegen. »Sie kommen genau zum richtigen Zeitpunkt.«
Ich griff unter das Bett und zog einen kleinen Plastikbeutel zwischen den Brettern hervor. Ich hatte schon vor Langem damit begonnen, einen Wochenvorrat an Medikamenten mit mir herumzutragen, die ein schnelles Absterben des Hirngewebes verhinderten. Mein Gehirn war schließlich mein wertvollster Besitz. Ich musste die Dosen jetzt zwar mit meinem neuen Freund teilen, aber sie würden trotzdem helfen.
»Was ist das?«
»Medizin, Mr. Macumba. Ich habe im Moment nicht genug Zeit, um Ihnen alles zu erklären, auch wenn mir klar ist, dass Sie vermutlich vor Neugierde beinahe sterben. Entschuldigung, das war ein wirklich schlechter Witz.« Ich wickelte eine bereits aufgezogene Spritze aus, klopfte darauf und drückte die überschüssige Luft heraus. Dann schlug ich meinen Ärmel zurück, legte das Ventil frei und injizierte mir die halbe Dosis. Henry sah starr zu.
»Wenn wir wieder auf dem Stützpunkt sind, werde ich auch bei Ihnen ein Ventil anbringen«, erklärte ich ihm. Ich bedeutete ihm, sich ebenfalls aufs Bett zu setzen und mir seinen Arm zu geben, und er tat es. »Bis dahin versuchen wir, auch ohne Ventil etwas in Ihren Körper zu kriegen. Vielleicht hilft es nicht, aber schaden kann es auch nicht.«
»In Ordnung.«
Ich gab ihm die Spritze. Es amüsierte mich immer wieder, wie Neuerwachte bei dem Stich zusammenzuckten. Ihre Nerven waren zwar zugegebenermaßen meistens noch etwas empfindlicher als die der älteren Leichen, aber trotzdem zuckten sie hauptsächlich aus Gewohnheit.
»Halten Sie den Arm hoch«, sagte ich und Henry tat es.
»Das alles ist so n-normal für Sie«, sagte er. Ich bemerkte, dass sich seine Sprache wesentlich verbessert hatte. Der Hund knurrte und umkreiste seinen Pfosten, soweit die Kette es ihm erlaubte.
Ich nickte. »Das ist jetzt mein Leben.«
»Wer ist dieser M-Mann? Averne?«
»Ich hatte gehofft, dass könnten Sie mir sagen.« Ich sah zu den Kisten hinüber. »Ich weiß nichts über ihn.«
»Er ist verrückt«, sagte Henry und rieb sich mit der anderen Hand den Ellbogen seines erhobenen Armes. »Sie s-sollten ihn hören, er r-redet wirres Zeug im Langhaus.« Er stand auf. »Und werden Sie den I-Impfstoff herstellen?«
»Eher würde ich mir die Eingeweide herausreißen«, erwiderte ich, während auch ich mich hochmühte. Ich lehnte meine Krücke an eine der Kisten, griff hinein und holte ein umwickeltes Glasfläschchen heraus. »Außerdem ist er tatsächlich verrückt, wie Sie so treffend bemerkt haben. Ich kann mit einer chemischen Grundausrüstung keine genetische Forschung betreiben. Und auch wenn ich es könnte, ohne einen Computer, um meine Modelle durchlaufen zu lassen, würde der Impfstoff vermutlich jeden töten, dem wir ihn injizieren.«
Henry gebrauchte einen Kraftausdruck und ich musste lächeln. »Ach, dabei stottern Sie nicht.«
Er fuchtelte ungeduldig durch die Luft. »Und was wollen Sie dann t-tun?«
»Etwas, für das eine chemische Grundausrüstung bestens geeignet ist.« Als er mir einen argwöhnischen Blick zuwarf, packte ich einen Bunsenbrenner aus und drehte ihn im Licht. »Bomben basteln.«
Henry erwies sich als ein guter Assistent, solange ich darauf achtete, ihm genau zu beschreiben, was er tun sollte. Während wir bis spät in die Nacht zusammen arbeiteten, erzählte er mir von seiner Familie in Shelley Falls – von der jetzt niemand mehr am Leben war. Er sprach von ihr, als wäre ihm immer bewusst gewesen, wie wertvoll sie war, aber auch, als hätte er noch nicht verstanden, dass er sie verloren hatte.
Ich kannte dieses Gefühl nur allzu gut.
Als der nahende Morgen den Himmel bereits rosa färbte, hatten wir mehrere versiegelte Fläschchen mit Nitro in einer Reihe angeordnet. Ich betrachtete sie stolz.
»Mr. Macumba«, sagte ich, »bitte befreien Sie den Hund, nur für alle Fälle.«
Inzwischen hatte sich der Hund an uns gewöhnt und er beschnupperte Henry vorsichtig, als der sich ihm näherte. Henry löste
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