Dark Love
von der gleichzeitigen Angst vor diesem Hunger. Das Leben zieht tatsächlich noch einmal an einem vorbei, so abgedroschen das auch klingen mag.
Henry hätte sich für seinen Nervenzusammenbruch keinen ungünstigeren Zeitpunkt aussuchen können.
»Henry, hören Sie mir zu.«
»Nein! Nein, es geht schon!« Seine Hand fuhr haltsuchend durch die Luft und schloss sich zu meinem Entsetzen dann um das Nitro. Ich hörte, wie die Fläschchen in seinem zittrigen Griff klirrend aneinanderstießen. »Es geht mir gut, ich brauche nur einen Moment zum Na-Nachdenken …«
»Henry … nein. Henry, nein. Legen Sie es zurück.«
Er gehorchte, aber nicht so, wie ich es beabsichtigt hatte. Aus welchem Grund auch immer legte er das Nitro jetzt auf das Bett, ganz an den Rand. Ich erhob mich schleunigst und kämpfte mich vorwärts, um Abstand zu gewinnen. Sogar während er die Fläschchen in seinem Anfall durcheinanderrüttelte, schien er noch um Fassung zu ringen.
Das war kein gutes Zeichen.
»Ich lege sie … lege sie hierher. Weg. Damit ich mich hinsetzen kann. Ich muss nur nachdenken, nachdenken …«
Ich wandte den Kopf und sah, wie sich ein Fläschchen von den anderen löste und davon rollte.
Anstatt zu versuchen, es aufzufangen, packte ich Henry am Kragen und riss ihn zu mir nach vorne.
Die Explosion war verheerend. Der Hund taumelte jaulend aus der Tür und rannte, die Kette hinter sich herschleifend, in Richtung der Salzwüste. Henry und ich wurden zu Boden geschleudert. Die Ausrüstungsstücke in den Kisten verwandelten sich in Geschosse. Nur die Tatsache, dass ich Henry an mich gerissen hatte und unter den Trümmern Schutz fand, rettete uns.
Henry schrie und schlug in schierem Entsetzen und aus reinem Instinkt um sich. Ich klopfte mir auf die Brust und stellte zu meiner Erleichterung fest, dass die dort befindlichen Fläschchen noch heil waren. Dann drehte ich mich zu dem Mann, der sich wand und krümmte.
» SARA! SARAAAA !«
»Ist schon gut. Henry, beruhige dich. Es ist alles gut. Du bist hier, du bist hier. Schau mich an und sei stark. Du musst das durchstehen. Du musst! « Das musste er wirklich, wenn wir auch nur noch die leiseste Hoffnung auf einen zweiten Versuch haben wollten. Mir sank bereits der Mut. »Komm schon. Reiß dich zusammen. Wir müssen hier weg!«
Bevor wir uns jedoch auch nur rühren konnten, wurden die Trümmer über uns weggeräumt und der Schein des Feuers, das um uns herum loderte, fiel auf uns. Ich fühlte einen Stiefel an meinem Kopf und dann nichts mehr.
Nur Stunden nach der Rede des Premierministers erschien eine neue Meldung auf den Newstickern und die Nachrichtensprecher verkündeten laut: »Biologische Kriegsführung.«
Noch immer gab es keine Aufzeichnungen aus den Elysischen Gefilden. Man sah nur die aufgeregten Gesichter der Reporter, die beschrieben, wie das gesamte Gebiet abgesperrt wurde, ohne dass noch jemand hinein oder hinaus durfte. Schließlich tauchten erste Bilder von rotberockten Soldaten auf, welche die Elysischen Gefilde stürmten und die zerstörten Tore sicherten. Heimatlos gewordene Anwohner hatten sich in Scharen davor versammelt und baten um Hilfe und Informationen. Das waren die Glücklichen. Entsetzliche Gerüchte kursierten über diejenigen, die im Inneren gefangen waren, deren Schicksal dadurch entschieden worden war, wo sie sich gerade aufgehalten hatten, als die Befehle ausgegeben wurden und die Soldaten die Stadt stürmten.
Die meisten waren über den Lauf der Ereignisse empört, aber es spielte keine Rolle. Die Machthaber hatten ihre Pläne und sie hielten eisern daran fest. General Giles Patmore selbst ging noch am selben Abend auf Sendung, um zu erläutern, dass während des Angriffs der Punks offensichtlich ein Virus oder ein Bakterium freigesetzt worden war, das die Menschen schrecklich krank machte – das sie umbrachte. Das einzige Ziel bestünde darin, zu verhindern, dass sich die Seuche, worum auch immer es sich dabei handelte, an der Oberfläche ausbreitete. Er sagte, dass eine Quarantäne verhängt worden sei und dass die Truppen so lange blieben, bis alle, die sterben würden , gestorben waren .
In der Stadt kochte es. Menschen drängten in Pulks durch die Straßen, stürmten die Pubs und Teesalons, um Gerüchte aufzuschnappen und zu verbreiten. Diese Gerüchte sickerten schließlich auch zur jüngeren Riege durch. Isambard hielt uns mithilfe seines Prepaid-Handys über alles auf dem Laufenden, was man sich erzählte. Die wildesten
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