DARK MISSION - Fegefeuer
Vorstellung, dass du nach einer Weile ihre Leiche findest.«
»Miststück!«
Bethany lachte. »Oje, jetzt bin ich aber echt gekränkt! Vergiss das hübsche Wort nur nicht, wenn ich über die Leiche der Kleinen hier zur Führung im Zirkel aufsteige, okay?« Sie zerrte Jessie rücklings mit sich, weiter in Richtung Tür. Mit einer Hand fasste Jessie nach dem Arm der Hexe, mit der anderen hielt sie das jetzt schmutzige, blutbesudelte Handtuch. Unter dem Griff der zierlichen Frau, die sie am Haarschopf gepackt lenkte, stolperte Jessie rückwärts.
Wieder ballte Silas die Fäuste. »Alles nur wegen ein paar Machtspielchen? Du willst Jessie deswegen, wegen eurer Häretikerscheiße?«
»Halt verdammt noch mal die Schnauze!«, knurrte Bethany. Es kam so unerwartet und mit solch aggressivem Druck gleich neben Jessies Ohr, dass Jessie die wütend herausgespuckten Worte durch Mark und Bein gingen. Bethany zeigte mit dem Finger auf Silas, und der Finger hinterließ eine blutige, anklagende Spur auf Jessies Gesicht. »Du hast keine Ahnung, wie es da unten ist! Was es heißt, um jeden Bissen Essen kämpfen zu müssen, gejagt zu werden, in ständiger Angst zu leben! Du hast keine Scheißahnung!« Bei jedem Wort sprühte sie Geifer auf Jessies Wange.
Jedes Wort schmeckte nach Trauer und Bitterkeit.
Gott, Jessie wusste es! Sie wusste ganz genau, wie Bethany sich fühlte. Wie ihr Leben sich anfühlte.
»Jetzt aber ist Schluss damit«, schnaubte Bethany. »Ich habe das Mädchen, das wir alle gesucht haben. Jetzt haben sie keine andere Wahl, als mich zu sich zu rufen. Keine andere Wahl, als mich neben Caleb am Altar stehen zu lassen und ihr herauszureißen, was an Mag…«
Reiner Instinkt war es, der Jessie handeln ließ. Mit aller Kraft warf sie sich nach hinten gegen die Hexe. Bethany taumelte rückwärts, ruderte hilflos mit Armen und Beinen, um das verlorene Gleichgewicht wiederzugewinnen und ihren Schutzschild, ihre Geisel, zu behalten. Jessie aber sorgte dafür, dass ihrer beider Arme und Beine sich ineinander verhedderten, als sie beide wild rudernd um sich schlugen.
Jessie brüllte auf, denn Bethany packte ihr noch fester in den Schopf und schrie: »Keine Bewegung!« Gleichzeitig aber flog hinter ihnen die Tür auf.
Jessie wusste nicht, wie ihr geschah. In dem einen Augenblick hatte die Hexe sie noch aufrecht vor sich gehalten, im nächsten taumelte sie unter deren ganzem Gewicht vorwärts und landete, Arme und Beine ausgestreckt, auf dem Teppich, schmeckte dessen Fasern und Dreck, dann Schmerz.
Kalte Luft wehte von draußen herein. Schüsse knallten. Etwas Warmes ergoss sich über Jessies Schultern, über ihren Rücken.
Instinktiv, mit heftiger Gänsehaut am ganzen Körper, rollte Jessie sich zur Seite, stemmte sich hoch auf die Füße, wankte.
»Nein.« Bethanys Augen glänzten leuchtend grün in ihrem vom Schock bleich gewordenen Gesicht und waren genau auf Jessie gerichtet. Die Hexe hob eine bebende Hand hinauf zu einer klaffenden, bedrohlich roten Wunde mitten in ihrer Brust.
Nach einem heftigen Krampf als Vorwarnung drehte es Jessie den Magen um. Die Galle kam ihr hoch, brannte ihr in der Kehle. Im selben Moment schlug Bethany lang auf dem Boden auf und lag dann ausgestreckt in der Lache aus Blut und Gehirnmasse, die der Teppich nur unzureichend aufgesogen hatte. Jessies Lippen formten sich zu einem lautlosen Schrei. Der Schrei kam irgendwoher tief aus ihrer Brust, stieg ihr die Kehle hinauf, blieb dort aber stecken. Das Wohnzimmer schwamm in Blut, eine Lache und noch eine auf dem Teppich, Blutspritzer und -tropfen und -flecken überall. Rot, überall rot.
Blut tropfte von Jessies Kopf. Ihre Knie gaben unter ihr nach.
»Nein, das tust du nicht!« Silas war neben ihr, bei ihr, packte sie beiden Schultern. Sein männlich-markantes Gesicht war erstarrt zu einer Maske aus Wut und grimmiger Sturheit. Er schüttelte Jessie, tat es so heftig, dass ihre Zähne aufeinanderschlugen. »Jessie, fall jetzt ja nicht um! Wag es ja nicht!«
Jessies mentales Fangseil, ihre Sicherheitsleine, zog an, spannte sich und katapultierte sie zurück in ihr Selbst, zurück dorthin, wo es nach Blut, Tod und Angst stank.
Jessie lächelte. Es war ein dünnes, zittriges Lächeln. »Ich fall schon nicht um.«
Er riss sie in seine Arme, zog sie an seine Brust und hielt sie fest. Geborgen und sicher. »Herr im Himmel!«, sagte er mit rauer Stimme in ihr Haar. »Scheiße, verfluchte Scheiße!«
Für eine ganze Weile erlaubte sich Jessie
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