DARK MISSION - Fegefeuer
müssen, dass ich sie nicht umbringe. Ist es nicht so, Jessica?«
Silas’ Augen wurden schmal wie Schlitze.
Jessie versteifte sich. »Woher …?«
Die Finger der Hexe packten Jessies Schopf noch fester. Es war ein heißer, scharfer Schmerz, ein plötzlicher Stich. »Woher ich deinen Namen kenne?«, fragte die Hexe heiter, geradezu fröhlich. Als ob nicht gerade zwei ihrer Freunde draufgegangen wären.
Als ob sie nicht gerade eben nur die Finger bewegt und mit nichts als dieser harmlosen Bewegung Jessie eine blutende Wunde ins Fleisch gerissen hätte.
»Ich kenne dich nicht, oder?«, fragte Jessie unsicher. Sie konnte im Augenwinkel nicht mehr sehen als einen angewinkelten Arm. Blickte sie in die andere Richtung, sah sie am Rand ihres Sichtfelds hohe Wangenknochen und ein spitzes Kinn.
»Nein, du kennst mich nicht«, erklärte Bethany. »Aber wir alle wissen von dir, Jessica Leigh. Wir suchen schon sehr lange nach dir. Also, los jetzt!«
»Nein.« Silas stand zwischen der Hexe mit ihrer Geisel und der Tür. Er rührte sich nicht. Starr und unbeweglich stand er da, nur der Muskel an seiner Schläfe zuckte. Jessies Augen suchten Silas’ Blick, beobachteten ihn.
Sie prägte sich sein Gesicht ein. Seine stahlharten graugrünen Augen. Seine schmale, durchtrainierte Gestalt. Würde er erlauben, dass die Hexe sie nach draußen brächte? Sie zu Caleb brächte?
Warum, zum Teufel, eigentlich nicht? Es war eine Chance. Eine Möglichkeit, an Caleb heranzukommen. Jessie furchte die Stirn und gab Silas mit den Augen Zeichen in Richtung Tür, versuchte ihm mit den Augen klarzumachen, auf welche Idee sie gekommen war.
Nun, mach schon, du Idiot!
Sie machte ein entschlossenes Gesicht. »Von mir aus«, sagte sie, »ich gehe mit dir.«
»Nein!«, knurrte Silas. Plötzlich war er nicht mehr so gnadenlos, so eisern. So unerbittlich. Wut verzerrte seine markanten Gesichtszüge, während er seine Haltung veränderte. Einen Sekundenbruchteil lang hatte Jessie das Bild vor Augen, dass er auf die Frau und sie losstürmte wie ein Stier. Sie sah das Blut, das aus ihrer mit Magie durchschnittenen Kehle spritzte.
»Silas, nicht!«, sagte sie rasch. Es tat weh, den Kopf zu schütteln. Dennoch tat sie es. Kurz, ganz schnell. »Es ist okay, mir passiert schon nichts.«
»Braves Mädchen!«, lobte Bethany. Sie packte noch fester zu, wickelte sich Jessies Haar um die Faust wie ein Seil und zog Jessie mit sich. Seitwärts. In einem Bogen um Silas herum.
Um die Leiche ihres Partners.
Verzweifelt versuchte Jessie, nicht zu stolpern, immer schön auf den Beinen zu bleiben.
»Falls es ein Trost für dich ist«, wisperte Bethany Jessie ins Ohr und bewegte sich mit ihr gleichzeitig weiter in Richtung Tür, »ich habe nicht vor, dich umzubringen, außer der Jäger macht Dummheiten.« Die Wattzahl von Bethanys Lächeln hätte Plastik zum Schmelzen bringen können. »Also sag ihm, dass er bleiben soll, wo er ist!«
»Silas?«
Er verlagerte das Gewicht auf das andere Bein, ließ Bethany und sie dabei keine Sekunde aus den Augen. »Warum sie?«, wollte er wissen.
Bethany zögerte. Sie schob eine Hüfte vor, sodass Jessie sie zu Silas hin deckte, Jessies Körper ihr Schutzschild war. »Das weißt du nicht?«, fragte sie nachdenklich. »Echt?«
Jessies Rückgrat füllte sich mit Eis. »Ich habe ihm nicht …«
»Echt«, erwiderte Silas tonlos.
Bethany nickte. »Also gut! Weil sie ihrem Bruder so ähnlich sieht, war sie leicht zu identifizieren.« Mit der freien Hand tätschelte sie Jessies Wange. »Wie aus dem Gesicht geschnitten, wirklich. Und die Belohnung für ihre Auslieferung ist recht ansehnlich. Also …«
Silas bewegte sich. »Warum?«
»Eh-eh!« Die Hexe bohrte ihren Daumen in Jessies Halswunde, und Jessie keuchte auf. Mit Mühe schluckte sie den Schrei hinunter, der ihr aus der Kehle wollte, als Schmerz in ihrem Kopf detonierte.
Silas erstarrte, mitten in der Bewegung. Mitten in der Wut. Tränenverschwommen, wie Jessies Blick war, sah sie seine Kiefermuskeln arbeiten, während er sie ansah und die Hexe hinter ihr.
»Wenn du das wissen willst, musst du Caleb finden und ihn selber fragen.« Bethany zog ihren Daumen aus der Wunde. Jessie sog aufschluchzend Luft in ihre Lungen. »Genau genommen hoffe ich sogar darauf, dass du das tust.«
»Ist das der Grund, warum du mich am Leben lässt?« Silas ließ die Arme hängen. Aber er hatte die Fäuste geballt und bebte vor unterdrückter Wut.
»Jep, genau deshalb. Ich mag einfach die
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