Dark one 03 - Kuesst du noch oder beisst du schon- neu-ok
Funken!“
Mein
Zeigefinger bewegte sich über die verschlungene Linie in die rechte Ecke des
Tuchs. Der Teil des Musters, den ich nachgezeichnet hatte, erstrahlte nicht nur
in einem leuchtenden Rot, er sprühte inzwischen auch noch kleine gelbe Funken
wie ein Lagerfeuer an einem kalten Winterabend. „Bitte... hilf... mir ...“,
ächzte ich und zog mit aller Kraft an meinem Arm, um von dem Tuch loszukommen.
„Das ist
wunderschön“, hauchte Beth und hielt die Hand in die glitzernden Funken, die
von dem Tuch aufflogen. „So etwas Herrliches habe ich in meinem ganzen Leben
noch nicht gesehen! Die sind ja wie Glühwürmchen! Hör nicht auf, Nell! Bitte
nicht aufhören!“
„Ich muss!“,
schrie ich. Mir rauschte derart das Blut in den Ohren, dass ich Beths Stimme
nur ganz leise hörte. Und ich schwöre, auf meinen Augäpfeln bildete sich
Raureif. „Irgendetwas stimmt hier überhaupt nicht, Beth. Bitte hilf mir, es zu
beenden!“
„Einfach
wunderschön“, flüsterte sie völlig verzückt und fuhr mit beiden Händen durch
den Funkenregen.
Entsetzt
musste ich zusehen, wie sich mein Finger der Mitte des Tuchs näherte. Ich
wusste instinktiv, dass dort das Herz des Fluchs saß. Ein Herz, das ebenso
lebendig war wie das Organ, das wie wild in meiner Brust schlug; dessen war ich
sicher. Während mein Finger sich unaufhaltsam und mit kreisenden Bewegungen auf
die Mitte zu bewegte, als würde er magisch von ihr angezogen, wurde meine Seele
von einer Finsternis erfüllt, die mich zu verschlingen drohte. „Beth, bitte...“,
hörte ich mich kläglich wimmern.
Als mein
Finger das Herz des Fluchs erreichte, schrie Beth unvermittelt auf. Ihre Stimme
ging mir durch Mark und Bein und im selben Moment gab es in meinem Kopf eine
Explosion. Vor mir erhob sich eine Kreatur, die so schrecklich war, dass schon
ihr Anblick meine Seele zu zerreißen drohte. Sie hielt die schreiende Beth in
ihren Klauen, die sich, schwer verletzt, zu befreien versuchte. In dem
Augenblick, als das Monster, die Bestie, dieses grausame Verbrechen an der
Natur, seine Aufmerksamkeit auf mich richtete, wusste ich, dass ich meine
Freundin retten konnte, wenn ich mein Leben opferte. Das grelle Licht und das
Monster - Dämon oder Teufel, was es auch sein mochte, ich wusste nur, dass es
durch und durch böse war - lösten sich auf in gnädiger Bewusstlosigkeit, als
mein Verstand die Entscheidung traf, die ich zu feige war selbst zu treffen,
und sich einfach abschaltete, woraufhin ich besinnungslos in einen unendlich
tiefen, finsteren Abgrund stürzte. Mir liefen die Tränen über die Wangen, als
ich langsam wieder in die Gegenwart zurückkehrte. Ich lag schluchzend in
Adrians Armen, dessen Wärme und Kraft mir trotz meiner überwältigenden
Schuldgefühle Trost spendeten. Ich bebte am ganzen Körper vor Entsetzen über
die törichte Arroganz, mit der ich mich an etwas gewagt hatte, wovon ich nicht
die leiseste Ahnung hatte, während ich innerlich beinahe an dem Wissen
zerbrach, dass ich meine Freundin in der Stunde der Not im Stich gelassen
hatte.
Adrian hielt
mich eng umschlungen, während ich an seiner Brust weinte und stumm um
Verständnis flehte. Der sanfte, zärtliche Kontakt seines Geistes mit meinem
vermittelte mir ein noch größeres Gefühl der Geborgenheit als sein starker,
Schutz bietender Körper.
8
„Nell, du
musst jetzt aufstehen! Wir müssen aufbrechen!“
Ich drehte
mich auf den Bauch, vergrub mein Gesicht in dem Kissen, das Adrian benutzt
hatte, und atmete verschlafen seinen Geruch ein.
„Nell, komm
jetzt! Wir haben nicht mehr viel Zeit!“ Ich zog mir die Decke über den Kopf,
und in diesem Moment kehrte die Erinnerung an die vergangenen Stunden mit
erstaunlicher Klarheit zurück. Ich hatte Adrian mein Geheimnis anvertraut, ihm
Einblick in meine Seele gewährt - wie sollte ich ihm jetzt noch in die Augen
sehen, nachdem er wusste, wer ich war?
Eine
Mörderin, eine schwache, erbärmliche Frau, die ihre Freundin hatte sterben
lassen, um ihr eigenes Leben zu retten.
Dich
trifft keine Schuld am Tod deiner Freundin, Hasi , erklang es sanft und
tröstend in meinem Kopf. Das Monster, das du versehentlich herausgefordert
hast, war Asmodeus, einer der sieben Höllenfürsten. Selbst die erfahrensten Bannwirker
scheuen die Konfrontation mit ihm.
Ich hätte
sie retten können , klagte ich in Gedanken. Wenn ich etwas unternommen
hätte, hätte er von ihr abgelassen und mich genommen.
Ich spürte
einen kalten Luftzug auf dem Rücken, als
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