Dark one 06 - Ein Vampir kommt selten allein-neu-ok-08.12.11
Augen, die von einem leuchtenden Siam-Blau waren. Ich betete, dass ich
nicht wegen sexueller Nötigung im Gefängnis landete, packte ihn und warf mich
ihm an den Hals, bekam jedoch im letzten Moment kalte Füße und küsste ihn nur
auf die Wange, direkt neben den Mundwinkel.
„Bitte rufen Sie nicht um Hilfe oder so“, raunte ich ihm
dabei zu, und seine Bartstoppeln kitzelten an meinen Lippen.
„Hallöchen!“, sagte ein Mann dicht an meinem Ohr.
Ich erschrak furchtbar und starrte entsetzt in das Gesicht,
das unmittelbar hinter meinem Opfer auftauchte. Wie Karl und Marta war auch
diese Gestalt fast durchsichtig.
„Ich würde ja auch gern mal wieder, aber was dir fehlt, ist
ein bisschen Zielwasser, mein Mädchen“, sagte der Geist. „Du triffst ja gar
nicht richtig!“
Der Mann, über den ich in meiner Verzweiflung hergefallen
war, erstarrte in meinen Armen, aber er schob mich weder fort, noch schrie er,
doch den Kuss erwiderte er auch nicht (was im Grunde schade war, denn ich hatte
schon immer eine Schwäche für blaue Augen gehabt). Er schien nur ziemlich
erstaunt über meinen in diesem Moment bestimmt höchst verwirrten
Gesichtsausdruck zu sein.
Mattias hatte sich mir bis auf ein paar Meter genähert, doch
die Menschen, die sich zwischen uns befanden, versperrten ihm den Weg. „Pia?“
Ich machte mich noch etwas kleiner, krallte meine Finger in
das weiche, lockige Haar des Mannes und presste stöhnend meine Lippen auf
seinen Mundwinkel, während ich sowohl Mattias als auch den lüsternen Geist
unauffällig im Auge behielt.
Mattias musterte uns, dann schüttelte er den Kopf und ging
davon. In diesem Moment wurde ich auch schon mit eisernem Griff an den
Handgelenken gepackt und weggeschoben.
„Vielen Dank für das Angebot, aber ich bin nicht
interessiert“, sagte der Mann mit tiefer, schmeichelnder Stimme und einem
italienischen Akzent, der mich regelrecht elektrisierte.
„Ich schon“, sagte der Geist augenzwinkernd. „Mich kannst du
jederzeit küssen!“
„Äh ...“, machte ich, weil ich nicht wusste, wie ich auf
einen notgeilen Geist reagieren sollte. „Sind Sie zufällig Matrose?“
„Nein“, entgegnete der Mann mit den leuchtend blauen Augen
stirnrunzelnd.
„Entschuldigen Sie, ich habe nicht Sie gefragt, sondern ihn“, sagte ich und wies mit dem Kinn auf den Geist.
Der Mann drehte sich um, dann sah er mich mit
zusammengekniffenen Augen an. „Sind Sie betrunken?“
„Kein bisschen, aber ich wünschte, ich wäre es. Sehen Sie
ihn denn nicht?“
„Wen?“
„Den Geist! Ich glaube, er ist von einem Schiff, das 1922
hier untergegangen ist.“
„Von der Rebecca“, bestätigte der Geist nickend. „Sie
sank in einer Nebelbank, wie ich sie noch nie erlebt habe und hoffentlich nie
wieder erleben werde.“
„Da ist doch niemand“, sagte Mr Blauauge.
„Dann bist du also die Schnitterin?“, fragte der
Matrosengeist. Er war recht klein und gedrungen, und sein Gesicht sah aus, als
habe er schon mehr als eine Kneipenschlägerei hinter sich.
„Nein, tut mir leid, die bin ich nicht. Ich habe nur das
hier ...“, entgegnete ich und hob meine Hand, um ihm den Mondstein zu zeigen,
der sich abermals in eine kleine Mondsichel-Laterne verwandelt hatte. „Aber wenn
Sie zu dem Cafe am Marktplatz gehen, finden Sie dort ein Ehepaar, das auch auf
dem Schiff war und auf diese Person wartet.“
„Was um alles in der Welt reden Sie da?“, fragte der Mann.
„Ein Cafe, hast du gesagt?“, fragte der Geist und sah mich
hoffnungsvoll an.
„Meinst du, da hätten sie auch ein Schlückchen Rum für mich?“
„Wer weiß? Vielleicht.“
„Na, dann mache ich mich mal auf den Weg.“ Er grinste mich
schief an.
„Vielleicht übst du noch ein bisschen, wenn ich weg bin.
Anscheinend gefällt es deinem Kerl nicht, dass du ihn nur auf die Wange küsst.“
Ich sagte nichts, damit der Mann, den ich so stürmisch
überfallen hatte, mich nicht für noch verrückter hielt als ohnehin schon. Dem
Mondstein wohnten allem Anschein nach magische Kräfte inne, die es seinem Träger
oder seiner Trägerin ermöglichten, Geister zu sehen.
„Es tut mir furchtbar leid. Sie denken bestimmt das
Schlimmste von mir“, sagte ich zu Mr Blauauge. „Aber ich wurde von einem Mann
verfolgt, und ich wollte nicht, dass er mich findet.“
Er hielt immer noch mein Handgelenk fest, an dem ich den
Mondstein trug.
Die kleine Laterne hatte er kein einziges Mal angeschaut,
doch kaum war der Geist verschwunden, hatte sie sich
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