Dark Places - Gefährliche Erinnerung: Thriller (German Edition)
Sie«, sagte ich. »Die Erwachsenen wollten Ihnen helfen – und Sie wollten natürlich den Erwachsenen helfen.« Nachdem ich Ben mit meiner Aussage festgenagelt hatte, schenkte Dr. Brooner mir einen sternförmigen Anstecker, auf dem stand Superkluger Superstar.
»Ja«, bestätigte Krissi, und ihre Augen waren ganz groß geworden. »Für meinen Therapeuten musste ich immer ganze Szenen irgendwie visualisieren oder so. Die haben wir dann mit Puppen nachgespielt. Irgendwann hat er auch mit den anderen Mädchen geredet, mit Mädchen, die nie wirklich etwas mit Ben zu tun gehabt hatten, und nach ein paar Tagen hatten wir eine ganze Phantasiewelt entworfen, in der Ben ein Teufelsanbeter war und Kaninchen tötete und uns zwang, ihre Innereien zu essen, während er uns missbrauchte. Ich meine, es war völlig verrückt. Aber es … es hat irgendwie auch Spaß gemacht. Ich weiß, das klingt schrecklich, aber wir Mädchen haben uns getroffen, oben im Schlafzimmer, und dann saßen wir im Kreis herum und feuerten uns an, erfanden Geschichten, die immer größer und interessanter wurden, und … haben Sie schon mal mit einem Ouija-Brett gespielt?«
»Ja, als Kind.«
»Richtig! Dann wissen Sie ja, wie es ist – alle wollen, dass es real ist und man mit Hilfe dieses Hexenbrettes in Kontakt mit einem Geist treten kann, und schon bewegt jemand den Zeiger ein bisschen, und man weiß, dass jemand ihn bewegt hat, aber ein Teil von einem selbst denkt, vielleicht ist es doch von selbst passiert, vielleicht ist es wirklich ein Geist, der zu mir spricht, und niemand muss etwas sagen, irgendwie wissen alle, dass man sich darauf geeinigt hat, daran zu glauben.«
»Aber Sie haben nie die Wahrheit gesagt.«
»Nur meinen Eltern. An dem Tag, als Sie mit Ihrer Mutter bei uns waren, als die Polizei eingeschaltet wurde, da waren alle Mädchen bei mir zu Hause – wir haben Kuchen gegessen, ich meine, Herrgott, wie grotesk ist das denn? Meine Eltern haben versprochen, mir einen kleinen Hund zu kaufen, damit ich mich besser fühlte. Und dann gingen die Polizisten wieder weg, und die Mädchen auch, und ich war in meinem Zimmer und hab geweint, als hätte ich erst in diesem Moment gemerkt, was ich getan hatte. Erst da habe ich nachgedacht.«
»Aber Sie haben doch gesagt, Ihr Dad hätte Ben gesucht.«
»Ach, das war auch bloß so eine kleine Phantasiegeschichte«, entgegnete sie und starrte wieder ins Leere. »Als ich ihm alles gestanden habe, hat mein Dad mich so heftig geschüttelt, dass ich dachte, mein Kopf fällt ab. Und nach dem, was dann in dieser Nacht geschah, haben die anderen Mädchen Panik gekriegt und die Wahrheit erzählt. Wir hatten alle das Gefühl, dass wir wirklich den Teufel heraufbeschworen hatten. Wir hatten diese schreckliche Geschichte über Ben erfunden, und dann war ein Teil davon wahr geworden.«
»Aber Ihre Familie hat eine dicke Vergleichszahlung von der Schule gekriegt.«
»Das war nicht besonders viel.« Sie beäugte interessiert den Boden ihres Glases.
»Aber Ihre Eltern sind dabei geblieben, obwohl Sie ihnen die Wahrheit gesagt hatten.«
»Mein Dad war Geschäftsmann. Er dachte, wir könnten eine kleine Kompensation gut brauchen.«
»Aber Ihr Dad wusste Bescheid, er wusste schon an dem Tag, als meine Mutter und meine beiden Schwestern ermordet wurden, dass Ben Sie nicht missbraucht hatte.«
»Ja, das stimmt«, sagte sie und zog wieder auf diese typisch feige Art defensiv den Hals ein. Buck kam und rieb sich an ihrem Hosenbein, und Krissi fuhr dem alten Kater mit ihren langen Fingernägeln durchs Fell. »In dem Jahr sind wir umgezogen. Mein Dad sagte, in der Gegend gibt’s für uns nichts mehr zu holen. Leider hat das Geld nicht wirklich geholfen. Ich weiß noch, dass er mir tatsächlich einen Hund gekauft hat, aber jedes Mal, wenn ich etwas über den Hund sagen wollte, hielt er irgendwie die Hand in die Höhe, als wollte er nichts davon hören, als wäre ihm das alles zu viel. Meine Mom hat mir das nie verziehen. Wenn ich aus der Schule heimkam und ihr irgendetwas erzählte, sagte sie bloß noch
Ehrlich?
Als wäre sowieso jedes Wort, das aus meinem Mund kam, eine Lüge. Ich hätte ihr sagen können, dass ich zum Lunch Kartoffelpüree gegessen hatte, und sie wäre bei ihrem
Ehrlich?
geblieben. Irgendwann sagte sie dann gar nichts mehr, sondern sah mich nur an, wenn ich aus der Schule kam, und dann ging sie rüber in die Küche und machte eine Flasche Wein auf. Sie sorgte dafür, dass ihr Glas nicht leer
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