Dark Places - Gefährliche Erinnerung: Thriller (German Edition)
Platz neben ihr wurde unruhig. »Natürlich vom gleichen Vater!«
»Aber Sie sind alleinerziehend, richtig?«, fragte Collins.
»Wir haben uns scheiden lassen, ja«, antwortete Patty und versuchte, so sittsam zu klingen, als wäre sie eine eifrige Kirchgängerin.
»Was hat das denn alles mit Ben zu tun?«, ging Diane dazwischen und beugte sich zu Collins über den Tisch. »Ich bin übrigens Pattys Schwester und kümmere mich fast so oft um die Kinder wie sie.«
Patty zuckte zusammen, und Detective Collins sah ihr dabei zu.
»Versuchen wir die Sache höflich anzugehen«, fuhr Collins fort, ohne auf Dianes Frage einzugehen. »Denn wir haben noch einen langen gemeinsamen Weg vor uns, bis die Sache aufgeklärt ist. Die Anschuldigungen, die gegen Ihren Sohn erhoben werden, Mrs Day, sind von sehr ernster und besorgniserregender Natur. Momentan sagen vier kleine Mädchen aus, Ben hätte sie in sehr intimen Bereichen angefasst und dazu veranlasst, ihn anzufassen. Außerdem hat er angeblich in irgendwelchen verlassenen Farmgebäuden gewisse … gewisse Dinge getan, die mit ritueller Teufelsanbetung in Zusammenhang stehen.« Er verwendete den Ausdruck –
rituelle Teufelsanbetung
– auf die gleiche Art, wie Leute, die nichts von Autos verstehen, das wiederholen, was der Mechaniker ihnen gesagt hat:
Die Benzinpumpe ist leck
.
»Ben hat nicht mal ein Auto«, sagte Patty mit kaum hörbarer Stimme.
»Nun beträgt der Altersunterschied zwischen einer Elfjährigen und einem Fünfzehnjährigen objektiv nur vier Jahre, aber das sind prägende Jahre«, fuhr Collins fort. »Wenn sich diese Anschuldigungen als wahr herausstellen, wäre Ihr Sohn als gefährlich und als Sexualstraftäter einzustufen. Und in jedem Fall müssen wir auch nicht nur mit Ben, sondern auch mit Ihren Töchtern sprechen.«
»Ben ist ein guter Junge«, beteuerte Patty und hasste ihre schlappe, schwache Stimme. »Alle haben ihn gern.«
»Wie kommt er denn in der Schule zurecht?«, fragte Collins.
»Wie bitte?«
»Ist er beliebt?«
»Er hat eine Menge Freunde«, murmelte Patty.
»Das glaube ich, ehrlich gesagt, nicht so recht, Madam«, widersprach Collins. »Nach allem, was wir gehört haben, hat Ihr Sohn nicht sehr viele Freunde und ist eher ein Einzelgänger.«
»Und was soll das beweisen?«, fauchte Diane.
»Das beweist gar nichts, Miss …?«
»Krause.«
»Das beweist gar nichts, Miss Krause. Aber wenn man diese Tatsache zusammen mit der Tatsache betrachtet, dass er in seinem direkten Umfeld keine starke Vaterfigur hat, würde mich das zu der Annahme bringen, dass Ben anfälliger ist für, sagen wir mal, negative Einflüsse. Drogen, Alkohol, Menschen, die außerhalb der sozialen Norm stehen und vielleicht ein wenig gestört sind.«
»Er treibt sich nicht mit Kriminellen rum, falls es das ist, worauf Sie hinauswollen«, sagte Patty.
»Dann nennen Sie mir doch mal ein paar Namen, mit wem er befreundet ist«, sagte Collins. »Irgendwelche Kids, mit denen er gern rumhängt. Sagen Sie mir doch zum Beispiel, mit wem er letztes Wochenende zusammen war.«
Patty hatte das Gefühl, dass ihr die Zunge im Mund anschwoll. Verlegen saß sie da, und schließlich schüttelte sie den Kopf und faltete die Hände vor sich auf dem Tisch, direkt neben einem Fleck Schokoguss, den ein früherer Kunde hinterlassen hatte. Es hatte lange gedauert, aber nun wurde sie endlich als das entlarvt, was sie war: eine Frau, die ihr Leben nicht auf die Reihe bekam, die von einem Notfall zum andern lebte, sich ständig Geld borgte, nie genug Schlaf kriegte, die sich gedrückt hatte, als sie für Ben hätte da sein sollen – ihn vielleicht ermuntern, sich ein Hobby zu suchen oder einem Club beizutreten –, statt insgeheim dankbar zu sein, wenn er sich in sein Zimmer einschloss oder für einen Abend einfach verschwand und sie dann wusste, dass sie sich um ein Kind weniger kümmern musste.
»Es gibt also durchaus Lücken in der elterlichen Fürsorge«, stellte Collins mit einem Seufzen fest, als wüsste er schon genau, wie die Geschichte ausgehen würde.
»Zuallererst wollen wir einen Anwalt. Bevor Sie mit einem von den Mädchen reden«, mischte Diane sich wieder ein.
»Offen gesagt, Mrs Day«, sagte Collins, ohne Diane auch nur eines Blickes zu würdigen, »mit drei kleinen Mädchen zu Hause würde ich an Ihrer Stelle ganz besonders viel Wert darauf legen, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Diese Art Verhalten gibt sich nicht einfach wieder. Wenn die Anschuldigungen
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