Dark Places - Gefährliche Erinnerung: Thriller (German Edition)
außer Kontrolle gerät.«
»Was?«
»Ich war noch ein Junge, erst zwölf Jahre alt, und bestimmt kein Brandstifter oder so, aber ich hatte ein Feuerzeug, ich weiß gar nicht mehr, wieso, und das knipste ich furchtbar gerne an, weißt du, und dann ging ich eines Tages in den Hügeln hinter unserer Siedlung spazieren, irgendwie hatte ich Langeweile, und der Weg war voll mit trockenem Gras und solchem Zeug. Und ich ging da so lang, spielte mit dem Feuerzeug und probierte, ob die Spitzen von dem Zeug Feuer fangen, die waren so struppig …«
»Borstenhirse.«
»Und als ich mich umdrehte, da … da sah ich, dass sie allesamt brannten. Hinter mir waren ungefähr zwanzig Minifeuer, wie Fackeln. Es war um die Zeit der Santa-Ana-Winde, deshalb flogen die brennenden Grasspitzen einfach davon, und wo sie landeten, entstand ein neues Feuer, und dann wurden sie wieder ein paar Meter weiter geblasen. Plötzlich waren es nicht mehr nur kleine Feuer hier und dort, sondern ein großes Feuer.«
»So schnell?«
»Ja, innerhalb von Sekunden entwickelte sich eine Feuersbrunst. Ich erinnere mich noch gut an dieses Gefühl, und vielleicht hätte es ja einen Augenblick gegeben, in dem ich das Feuer noch hätte löschen können, aber jetzt war es, na ja, es hatte einfach die Kontrolle übernommen. Und es wurde immer schlimmer. Ich weiß noch, dass ich gedacht habe, jetzt erlebe ich etwas, über das ich nie hinwegkommen werde. Und so war es auch, ich bin nie drüber weggekommen. Es ist hart, so etwas begreifen zu müssen, wenn man noch so jung ist.«
Mir war klar, dass ich etwas sagen musste.
»Aber du hast das nicht mit Absicht gemacht, Lyle. Du warst noch ein Junge und hattest verdammtes Pech.«
»Na ja, das weiß ich, aber deshalb identifiziere ich mich so mit dir, weißt du. Vor nicht allzu langer Zeit hab ich zufällig von deiner Geschichte erfahren und dachte,
vielleicht ist sie mir ja ähnlich
. Vielleicht kennt sie ja dieses Gefühl, dass etwas total außer Kontrolle gerät. Dass man überhaupt keinen Einfluss mehr hat auf das, was passiert. Du weißt schon, deine Aussage und alles, was sich daraus ergeben hat …«
»Ja, ich weiß.«
»Ich hab die Geschichte noch nie einem Menschen erzählt. Ich meine freiwillig. Ich hab gedacht, du …«
»Ich weiß. Danke.«
Wenn ich ein besserer Mensch wäre, hätte ich jetzt Lyles Hand genommen und gedrückt, hätte ihm zu verstehen gegeben, dass ich ihn verstand und mit ihm fühlte. Aber ich war kein besserer Mensch, das Danke vorhin war mir schwer genug gefallen. Buck hüpfte aufs Sofa, um mir zu sagen, dass er gefüttert werden wollte.
»Also, äh, was hast du denn am Wochenende vor?«, fragte Lyle und knibbelte am Sofa herum, an der gleichen Stelle, an der Krissi geweint hatte.
»Nichts.«
»Äh, meine Mom wollte nämlich, dass ich dich frage, ob du zu der Geburtstagsparty kommst, die sie für mich macht«, sagte er. »Also, bloß ein Abendessen mit Freunden oder so.«
Auch erwachsene Menschen veranstalteten Geburtstagspartys, aber die Art, wie Lyle davon erzählte, erinnerte mich sofort an Clowns und Ballons und vielleicht Ponyreiten.
»Oh, dann möchtest du bestimmt einfach nur die Zeit mit deinen Freunden genießen«, sagte ich und sah mich im Zimmer nach der Fernbedienung um.
»Ja. Deshalb hab ich dich ja eingeladen.«
»Oh. Na gut.«
Ich bemühte mich, nicht zu lächeln, das wäre zu grässlich gewesen, und ich überlegte krampfhaft, ob ich ihn vielleicht fragen sollte, wie alt er wurde. Wenn er 1999 zwölf gewesen war, dann war er jetzt, guter Gott, zweiundzwanzig? Aber dann blökte plötzlich der Nachrichtensprecher aus dem Fernseher: Heute Morgen hatte man Lisette Stephens ermordet aufgefunden, ihre Leiche lag in einer Schlucht. Sie war schon seit mehreren Monaten tot.
Patty Day
3 . Januar 1985
0 Uhr 01
K innakee, dieses heruntergekommene Kaff. Diese Stadt würde sie ganz sicher nicht vermissen, vor allem nicht im Winter, wenn die Straßen löchrig wurden und jede Autofahrt dein Knochengerüst umarrangierte. Als Patty heimkam, schliefen die Mädchen tief und fest, Debby und Michelle wie immer hingegossen auf dem Boden, Debby mit einem Stofftier als Kissen unter dem Kopf, Michelle noch an ihrem Stift lutschend, das Tagebuch unter dem Arm, und obwohl ihr Bein ganz verdreht aussah, wirkte sie entspannt. Libby dagegen lag zusammengerollt im Bett, die Fäuste unterm Kinn, und knirschte mit den Zähnen. Patty überlegte, ob sie die Mädchen richtig hinlegen
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