Dark Places - Gefährliche Erinnerung: Thriller (German Edition)
sollte, aber sie wollte nicht riskieren, dass sie aufwachten. Stattdessen warf sie ihnen eine Kusshand zu und schloss vorsichtig die Tür. Erneut stieg ihr der Uringeruch in die Nase, und ihr fiel ein, dass sie vergessen hatte, die Laken zu wechseln.
Inzwischen waren die Kleider aus der Tüte ganz verbrannt, nur noch winzige Fetzen lagen unten in der Feuerstelle. Ein weißes Baumwollviereck mit einem lila Sternchen lugte trotzig aus der Asche. Um ganz sicherzugehen, legte Patty noch ein Stück Holz nach und schob den Fetzen direkt ins Feuer. Dann rief sie Diane an und bat sie, morgen extra früh zu kommen, damit sie möglichst noch in der Dämmerung die Suche nach Ben fortsetzen konnten.
»Ich kann auch jetzt gleich rüberkommen, wenn du gern Gesellschaft hättest.«
»Nein, ich gehe lieber ins Bett«, sagte Patty. »Danke für den Umschlag. Das Geld.«
»Ich hab schon wegen einem Anwalt rumtelefoniert, bis morgen hab ich eine ganze Liste. Keine Sorge, Ben wird schon heimkommen. Wahrscheinlich hat er Panik und übernachtet irgendwo anders. Aber er kommt wieder.«
»Ich liebe ihn so, Diane …«, begann Patty, unterbrach sich dann aber schnell. »Schlaf gut.«
»Ich bring Müsli mit, das hab ich heute ganz vergessen.«
Müsli. Das klang so normal, dass es sich anfühlte wie ein Schlag in die Magengrube.
Patty machte sich auf den Weg in ihr Zimmer. Am liebsten hätte sie sich hingesetzt und nachgedacht, lange und gründlich. Der Impuls war stark, aber sie kämpfte tapfer dagegen an, als versuchte sie, ein Niesen zu unterdrücken. Schließlich goss sie sich zwei Fingerbreit Bourbon ein und schlüpfte in ihre Schlafsachen, mehrere dicke Schichten übereinander. Die Zeit zum Nachdenken war vorüber. Jetzt war es besser, sich einfach zu entspannen.
Eigentlich hatte sie erwartet, dass sie weinen würde – vor Erleichterung –, aber nichts dergleichen. Stattdessen legte sie sich ins Bett, schaute zu der rissigen Decke empor und dachte: »Ich muss mir keine Sorgen mehr darüber machen, dass das Dach einstürzt.« Sie würde nicht mehr das kaputte Fliegengitterfenster neben ihrem Bett anstarren und sich jahrein, jahraus von neuem vornehmen, es zu flicken. Sie brauchte sich keine Gedanken zu machen über den Morgen, an dem sie aufwachen und feststellen würde, dass die Kaffeemaschine endgültig den Geist aufgegeben hatte. Sie brauchte sich keine Sorgen zu machen über Lebenshaltungs- oder Betriebskosten oder Zinsen oder über die Kreditkarte, die Runner sich auf ihren Namen hatte ausstellen lassen und so überzogen hatte, dass sie es nie würde abzahlen können. Sie würde die Cates nie wiedersehen, zumindest nicht für eine sehr lange Zeit. Sie brauchte sich nicht mehr zu sorgen wegen Runner und seinem affigen Getue, sie brauchte sich nicht um den Prozess zu kümmern und auch nicht um den schicken, pomadigen Anwalt, der beschwichtigende Dinge sagte, sie aber im Stillen verachtete. Sie musste auch keine schlaflosen Nächte mehr damit verbringen, sich Gedanken zu machen, was für Geschichten der Anwalt seiner Frau über die »Day-Mutter« und ihre dreckige Brut erzählen mochte, wenn sie unter ihrem Gänsedaunenfederbett lagen. Sie brauchte keine Angst zu haben wegen Ben und dem Gefängnis und dass sie sich nicht angemessen um ihn kümmern konnte. Oder um ihre drei Mädchen. Alles würde anders werden.
Zum ersten Mal seit über zehn Jahren machte sie sich keine Sorgen mehr, und deshalb weinte sie auch nicht. Irgendwann nach eins stieß Libby ihre Tür auf und schlafwandelte zu ihr ins Bett. Patty drehte sich um, gab ihr einen Gutenachtkuss und sagte, ich liebe dich. Sie war glücklich, dass sie wenigstens das einem ihrer Kinder laut gesagt hatte, und Libby schlief so schnell wieder ein, dass Patty sich fragte, ob sie es überhaupt gehört hatte.
Libby Day
Jetzt
I ch wachte mit dem Gefühl auf, dass ich von meiner Mutter geträumt hatte. Ich sehnte mich nach ihren seltsamen Hamburgern, über die wir uns immer lustig gemacht hatten, mit Karotten und Kohlrübenstückchen und manchmal sogar altem Obst. Was sehr merkwürdig war, da ich ja kein Fleisch esse. Aber ich wollte unbedingt so einen Burger haben.
Gerade überlegte ich, wie man Hamburger eigentlich herstellte, als Lyle anrief. Nur noch einmal. Das sagte er immer wieder: Nur noch einmal sollte ich mich mit jemandem unterhalten, und wenn dabei wieder nichts herauskam, konnte ich aufgeben. Trey Teepano. Ich sollte Trey Teepano suchen. Als ich sagte, es wäre
Weitere Kostenlose Bücher