Dark Road
ganze Drecksarbeit für mich erledigt. Der heilige Anselm hat wirklich Glück. Andererseits heißt es, dass die Polizei Golightly quasi gehört. Vielleicht gehört ihm ja auch der heilige Anselm. Man fragt sich schon, wer hier wirklich der Boss ist ... Für mehr bleibt heute leider nicht mehr Zeit. Einen schönen Abend euch da draußen im Big Barnacle, unserer wunderschönen Hafenstadt.«
Zack schaltete das Radio aus. Er besah sich das Durcheinander der Knöpfe und beschloss, die Heizung erst einmal ausgeschaltet zu lassen.
»Wenn das Büro des Bürgermeisters jemals rausfinden sollte, wer hinter Barnacle Radio steckt, dann wird es hundertprozentig geschlossen«, kommentierte Clovis.
»Die sind wie wir«, meinte Zack. »Sie bringen den Außenseitern Nachrichten und wir bringen ihnen Eiscreme.«
Die Straße machte eine letzte Kurve hinaus aus dem Wald. Sie passierten eine zerklüftete Steinmauer und der Salzgeruch des Meeres drang in die Fahrerkabine.
Die mächtige Stadt ragte vor ihnen auf, voller Lichter und Verheißungen. Zack hielt den Wagen an und sie saßen stumm da. Monatelang hatten sie hart für diesen Augenblick gearbeitet und geplant. Er grinste Clovis an.
»Könige der Berge«, sagte er. Sie stießen ihre Fäuste aneinander.
»Könige der Berge«, sagte Clovis und grinste zurück.
Dann machte Zack den Motor an und zum ersten Mal seit zwölf Jahren glitt der Eis-Engel in die Stadt Rockscar. So geschmeidig wie ein Otter ins Wasser. Es war acht Uhr und die Flutglocke läutete.
Nach Balthasars Verschwinden hatte Mariette ihr Haus nie ohne ihre Kinder verlassen können, denn es gab niemanden mehr, der auf sie hätte aufpassen können. Also band sie sich die beiden in den ersten Wochen in Decken gewickelt an Bauch und Rücken. Drinnen hielt sie es einfach nicht aus. Die Kinder schliefen, beruhigt von ihrem einsamen Herzschlag und dem Schwung ihrer Schritte, als sie den Pfaden der Wölfe, Bären, Löwen und Rehe folgte, stets das schussbereite Gewehr im Anschlag. Auf der Suche nach einem Zeichen, irgendeinem Hinweis. Manchmal rief sie in diesen ersten, verzweifelten Nächten sogar seinen Namen.
Auch heute hielt sie nichts im Haus. Während Clovis und Zack sich nach Rockscar aufmachten, war sie schnell durch das Gewirr der Pfade gerannt, bis zu dem Ort, an dem die beiden beim Abgrund haltgemacht hatten. Sie hatte die Reifenspuren des Eis-Engels gesehen und gewusst, dass sie sicher und auf dem richtigen Weg waren.
Weiter folgte sie ihnen nicht.
Vor Wölfen hatte Mariette keine Angst, auch wenn sie jetzt im roten Licht ihrer Laterne ihre Spuren entdeckte. Etwas anderes ließ ihr Blut an diesem Ort, am Rand der kahlen Schlucht, gefrieren. Immer war sie hier gelandet, in all den schrecklichen Nächten der Suche.
Und jetzt stand ihr plötzlich eine Erinnerung vor Augen, die fast wirklicher war als die Gegenwart. Die erste Nacht, die erste Suche. Das erste Mal, dass er nicht nach Hause gekommen war.
Mariette sah den Eis-Engel-Van schräg, halb gekippt auf der engen Steinstraße stehen. Die Fahrertür stand offen, die Scheinwerfer waren noch an. Der Engel selbst ragte ruhig vom Kühler auf. Und das Licht dieses Wintermorgens, kalt und grausam, das auf die verstreuten Dinge fiel — ein Schuh, ein Gewehr, etwas Glitzerndes -, und Blut, dunkles, schreckliches Blut, das bereits zu trocknen begann.
Sie war darauf zugeschlichen. Das war die Schlucht, die Balthasar den »Garten der Trolle« nannte.
Plötzlich und unerwartet spürte sie, wie die Luft um sie herum aufstieg und schwirrte. Und dann, als sie aufschrie und auf den verbeulten Van zurannte, auf Dinge trat und auf Blut, war sie plötzlich umgeben vom Geruch von Sommerblumen — hier in der eisigen Kälte, wo nichts anderes wuchs als Stein und Kiefern.
Jasmin, Rosen, Maiglöckchen.
Wie war das möglich?
Seither waren diese süßen Düfte für Mariette wie das Flüstern des Todes.
KAPITEL 18
Zack, Clovis, Moe und der Eis-Engel waren in Sugar Town. Denn sie hatten sich verirrt.
Selbst zu dieser frühen Abendstunde brodelte Sugar Town bereits, denn Sugar Town war das Hafenviertel. Bei Flut steuerten Kapitäne bei Tag und Nacht ihre Schiffe durch ein Labyrinth aus Riffen, Schiffswracks und tödlich seichtem Wasser in die abgeschlossene Sicherheit des Hafens von Rockscar. Rund um die Uhr bevölkerten Seemänner aus aller Herren Länder die Bars und Kneipen, Partys und Feste von Sugar Town, wo sie ihr Geld vertranken oder an den wenigen Tagen
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