Dark Road
in die Freiheit aufmachten.
Seine Eltern waren schon lange tot. Sein einziger Trost und Freund war seine getigerte Katze Fischer, die er als winziges Kätzchen von dem Koch namens Cook bekommen hatte, der sich um ihn gekümmert hatte, als er noch ein kleiner Junge gewesen war.
Jetzt war Ernesto erschöpft von den Tagen und Nächten der Suche.
Er verließ das Fenster, öffnete seine dunkle Holzgarderobe und holte einen schwarzen Anzug und ein gestärktes weißes Hemd hervor. Unten fand eine Party statt, und er hatte keine andere Wahl — er musste die Gäste begrüßen.
KAPITEL 24
Ein vertrautes Klopfen an der Tür, diskret, aber bestimmt.
»Master Ernesto?«
Ernesto betrachtete seine geisterhafte Erscheinung im Spiegel. Er rückte seinen Kragen zurecht und öffnete die Tür.
Steward Golightly war ebenfalls in Abendkleidung. Er trug eine weiße Nelke am Jackett.
»Dein Onkel fragt sich, wann du zu uns stoßen wirst«, sagte er sanft.
Ernesto lächelte höflich. Er wusste, dass der Verwalter ihn nicht mochte, ihn verachtete.
»Ich komme herunter«, sagte er.
»Immerhin findet dieses Fest auch zu deinen Ehren statt, dein Geburtstag war erst vor einem Monat«, fuhr Golightly fort, als sie zusammen zur Haupttreppe gingen. In seiner Stimme hörte man den geheuchelten Respekt. »Alle deine Freunde sind hier und wollen dir gratulieren. Du bist jetzt schon fast ein Mann.«
»Vielen Dank«, sagte Ernesto. Golightly wusste ebenso gut wie er, dass die einzigen Freunde, die er je gehabt hatte, im Bedienstetenzimmer waren. Die Gäste auf der großen und teuren Party da unten waren Geschäftspartner seines Onkels und mächtige Persönlichkeiten der Stadt. Der Polizeichef, Banker, Kasinobesitzer, der Besitzer der Pferderennbahn, der Vorsitzende der Planungsabteilung, Zeitungsverleger, der Direktor von Radio Excelsior. Außerdem waren Menschen eingeladen worden, die Anselm Scarspring auf die eine oder andere Art amüsierten oder interessierten: Kabarettsänger, Boxer, Schauspieler und Rennhundetrainer. Eine schier endlose Zahl schöner und teuer gekleideter Frauen. Und so weiter.
Sie erreichten die Galerie, die den Blick auf das große Marmorfoyer freigab. Gerade kamen Musiker herein — wohl etwas verspätet - und bauten eilig ihre Instrumente auf. Der große geschwungene Bogen der Treppe war mit frischen Blumen in den Farben der Scarsprings dekoriert: Weinrot und Gold. Auf weiß gedeckten Tischen türmten sich leere Servierteller und zusammengeknüllte Stoffservietten. Kellner schwebten mit Eiskübeln und dem besten Champagner darin von Raum zu Raum.
Golightly, dem Ernestos große Schüchternheit wohlbekannt war, trat an das vergoldete Geländer und verkündete laut: »Sehr verehrte Damen und Herren, Master Ernesto Scarspring, unser Geburtstagskind!«
Ernesto zitterte vor Scham.
Die Jazzband setzte zu einem immer lauter werdenden Happy Birthday an, und die Gäste, die gerade im Foyer standen, begannen zu singen und hoben ihre Gläser.
Noch mehr Menschen strömten aus den Türen zu beiden Seiten, aus dem Konferenzraum und dem Tanzsaal, in die Eingangshalle. Einige der Kellner stellten ihre Tabletts ab, um mit einzustimmen.
»Man erwartet, dass du etwas sagst«, flüsterte Steward Golightly mit fieser Stimme und boshaftem Blick.
Noch nie hatte Happy Birthday so lange gedauert oder war zu einer solchen Lautstärke angeschwollen.
Ernesto versuchte die Treppe hinabzugehen, aber irgendwie gelang es dem Verwalter, sich ihm in den Weg zu stellen. Bei den letzten Tönen, die immer noch von mindestens fünfzig Stimmen laut mitgesungen wurden, stand er wie ein Ausstellungsstück oben auf der Galerie. Er errötete und begann zu schwitzen, als Golightly ein wenig zurücktrat, eine schwungvolle Verbeugung machte und ihn noch einmal der Menge präsentierte. »Master Ernesto«, dröhnte seine Stimme, die, wenn nötig, überraschend laut war.
Ernesto klammerte sich an das Geländer. Er blickte direkt geradeaus auf den riesigen Kronleuchter, eine große, glitzernde Masse aus Glas und Kerzenflammen. Dann hob eine Frau in einem schwarzen Kleid und mit einer Federboa ihr Glas.
»Auf das Geburtstagskind!«
»Auf das Geburtstagskind«, riefen alle wie aus einem Mund. Der Trommler der Jazzband schlug mit einem schneidenden silbernen Knall die Becken zusammen.
»Eine Rede!«, rief die Frau.
»Eine Rede!« rief der Mann neben ihr.
»Ich glaube, du solltest wirklich etwas sagen«, flüsterte Golightly und lächelte wie ein
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