Dark Silence - Denn deine Schuld wird nie vergehen
auszusprechen, und sie musste es bald erledigen. Ohne Rücksicht auf die Polizei. Oder die Anwälte. Oder die verdammte Versicherung, über die sie Alex flüstern gehört hatte.
Sie durchquerte die Suite, einen Wohnbereich mit eigenem Kamin und einer Veranda, versuchte, die Tür zu Alex’ Zimmer zu öffnen, und fand sie unverschlossen vor.
Ohne lange zu überlegen, trat sie ein. Das Zimmer war so aufgeräumt, als stünde ein Stubenappell wie beim Militär bevor. Ein Doppelbett, eine Kommode, ein kleines Sofa und ein Schrank mit Fernseher und Stereoanlage bildeten die Einrichtung. Ein Erkerfenster gab den Blick über das Grundstück und auf die Lichter der Stadt frei. Durch einen begehbaren Kleiderschrank voller ordentlich auf Bügeln hängenden Anzügen und Sportsachen gelangte man in einen Fitnessraum. Marla strich mit den Fingern über die Griffe des Heimtrainers, betrachtete das Laufband, die Hantelbank und den NordicTrack und fragte sich, ob auch sie diese Geräte einmal benutzt hatte. Sie war einigermaßen gut in Form, konnte sich jedoch nicht vorstellen, Stunden beim Training in diesem Raum zu verbringen. Nein, irgendetwas sagte ihr, dass sie lieber an der frischen Luft Sport trieb – Walking, Joggen, Tennis, Reiten … vielleicht sogar Rudern.
Durch eine weitere Tür gelangte sie in ein Privatbüro mit dunkler Holzvertäfelung und eingebauten Armaturen aus Messing, waldgrünen Möbeln und Topfpflanzen. Hoch unter der Decke waren Facettenfenster eingelassen, die Licht hindurchließen, aber keinen Ausblick boten.
Dies war vermutlich das Refugium ihres Mannes. Es roch leicht nach Zigarettenrauch und Aftershave. Ölgemälde von Rennpferden schmückten die Wände. Pferde … Marla hatte flüchtig sich selbst vor Augen, wie sie mit wehendem Haar über offenes Gelände ritt. Der Wind peitschte ihr Gesicht, und unter sich spürte sie die Bewegungen kraftvoller Muskeln an ihren Schenkeln … Sie ritt ohne Sattel? Ohne Sattel? Wie die Indianer in alten Filmen …? Ja! Als hätte sie es schon tausendmal erlebt, spürte sie plötzlich das Scheuern von Pferdefell an ihren Beinen. Sie schluckte bestürzt, ihre Handflächen wurden feucht, ihr Herz begann zu rasen. Sie schüttelte den Kopf. Wie passte diese Vorstellung zu ihrer jetzigen Umgebung? Zu den Bildern, die schlanke Rennpferde zeigten, Vollblüter, von livrierten Pferdeburschen am Zügel gehalten oder über gepflegte Rasenflächen geritten von Jockeys in bunter Seide und Jodhpurhosen? Diese Bilder hatten nichts Wildes … oder Unbeschwertes oder … Freies. Alles ganz verhalten. Steif. Bestimmt von Konventionen und gesellschaftlichen Regeln.
Ihre Knie drohten weich zu werden, und sie ließ sich in Alex’ Schreibtischsessel sinken, um sich zu sammeln. »Das ist gut«, sagte sie, jedoch ohne echte Überzeugung. Der Ledersessel knarrte, und sie fuhr zusammen. Es war ja nicht so, dass sie etwas hinter dem Rücken ihres Mannes tat, sagte sie sich, doch sie benötigte schlicht und einfach Antworten, und zwar schnellstens. Dennoch meldete sich leise ihr Gewissen, als sie den aufgeschlagenen Tischkalender durchblätterte, so, als sei sie in jemandes Privatsphäre eingedrungen. »Unfug, er ist mein Mann, verdammt noch mal. Zwischen uns gibt es keine Geheimnisse.«
Doch Marla wusste, dass es nicht stimmte. Sie hatte die Geheimnisse gespürt, in seinen Augen gelesen, obwohl er versuchte, sie zu verbergen. Da war Lug und Trug und … »Hör auf!« Sie trieb sich doch nur selbst in den Wahnsinn! Sie straffte den Rücken, schlug die Seiten des Kalenders um, betrachtete die Daten, Orte und Namen und hoffte, auf irgendetwas zu stoßen, das Erinnerungen weckte, vielleicht eine Notiz oder eine zufällige Kritzelei.
Ihr Unfall lag jetzt beinahe acht Wochen zurück. Sie blätterte zu dem Datum, an dem ihr Leben um ein Haar zu Ende gewesen wäre.
Die betreffende Seite war leer.
»Verflixt«, schimpfte sie und hatte das Gefühl, als habe man ihr auf dem Weg zur Genesung einen weiteren Knüppel zwischen die Beine geworfen. Die meisten Seiten des Kalenders waren vollgeschrieben mit Tinten- oder Bleistiftnotizen in zwei verschiedenen Handschriften – Dinnerparty bei Robertsons am Freitag vorher, Cissys Reitstunde am Tag nach dem Unfall, geschrieben in einer weichen, flüssigen Schrift. Alex’ Geschäftstermine oder Squash- und Golfspiele waren in einer kühneren Handschrift verfasst.
Sie griff nach einem Kugelschreiber, schrieb ihren Namen auf einen Notizblock und
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