Dark Silence - Denn deine Schuld wird nie vergehen
warten, bis die Hölle einfriert«, erwiderte Paterno verdrießlich.
Wo bin ich? Marla schlug mühsam die Augen auf und fand sich in einem fremden Zimmer wieder. Sekundenlang war sie orientierungslos, dann fiel ihr wieder ein, dass sie zu Hause war. Dies war ihr Zimmer. Ihr Bett. Ihr …
Wie lange hatte sie geschlafen? Graues Tageslicht blinzelte durch die Jalousien, doch ihrer vollen Blase und ihrer Benommenheit nach zu urteilen glaubte Marla, schon eine ganze Weile geschlafen zu haben. Sie hatte einen üblen Geschmack im Mund, und ihr Haar oder vielmehr das, was davon übrig war, fühlte sich fettig und strähnig an. Sie hatte nicht gehört, dass Alex die Suite betrat, hatte nicht gehört, dass das Baby weinte; sie hatte geschlafen wie eine Tote.
In Slip und BH stolperte sie ins Bad, benutzte die Toilette, wusch sich das Gesicht und vermied es dabei, in den Spiegel zu schauen. Frische Handtücher hingen bereit. Sie zog sich aus, trat in die gläserne Duschkabine, die groß genug für zwei Personen war, und drehte den Hahn auf. Heißes Wasser prickelte auf ihrer Haut, entspannte ihre Muskeln. Behutsam, ohne die genähte Wunde zu berühren, verteilte sie das Shampoo auf ihrem Haar und wusch sich. Sie fand einen Rasierapparat, mit dem sie den Haaren an ihren Beinen und in den Achselhöhlen zu Leibe rückte. Dann, immer noch benommen, wappnete sie sich und drehte den Regler ganz nach rechts. Eisiges Wasser prasselte aus dem Duschkopf. Marla schnappte nach Luft und lehnte sich gegen die glatten Kacheln.
Langsam begann sie sich wieder wie ein Mensch zu fühlen. Jedenfalls war dies ihr lichtester Moment, seit sie aus dem verdammten Koma erwacht war. Sie schaltete die Dusche ab, griff nach einem Handtuch, und in diesem Augenblick blitzte eine Erinnerung auf, an eine andere Zeit und einen anderen Ort.
Sie war am Strand … mit Freunden … oder ihrem Mann … oder Cissy, ihrer Tochter … Nein, das stimmte nicht … Jedenfalls schien die Sonne, und sie kam gerade aus dem Wasser, wobei sie sich auf dem heißen Sand fast die Fußsohlen versengte. Jemand reichte ihr ein Handtuch, aber … wer? Ihr Kopf schmerzte von der angestrengten Konzentration. Es war ein Mann … Ja, ein Mann. Alex … oder … Nick? Ihre Kehle schnürte sich zusammen bei dieser Vorstellung. Sie rubbelte mit dem dicken Frotteetuch ihre Arme und Beine trocken. Vielleicht war es jemand anders. Oder vielleicht hatte es diese Szene nie gegeben. Mit einer Hand an den Fliesen abgestützt, schüttelte sie den Kopf und versuchte sich zu konzentrieren, um diese flüchtige, lockende Erinnerung zurückzurufen, doch das Bild verblasste so schnell, wie es gekommen war.
Entschlossen, mehr über sich selbst zu erfahren, stieg sie aus der Dusche und stellte sich ihrem Spiegelbild. Herrgott, sie sah schlimm aus. Die Blutergüsse gingen zurück, die Schwellungen waren fast verschwunden, aber sie erkannte sich selbst nicht. Und ihr Haar! Eine Katastrophe! Der kinnlange Bob auf der einen Seite ihres Gesichts musste kurz, wenn nicht gar stoppelig geschnitten werden, um sich dem neuen Flaum anzugleichen, der ihren Oberkopf bedeckte. Dann würde sie nicht viel mehr Haare haben als ihr neugeborener Sohn.
Hatte eine berühmte Popsängerin sich nicht mal den Kopf kahl rasiert … aus religiösem Protest oder so … oder irrte sie sich auch darin? Zum Teufel mit der Amnesie! »Es ist ein Anfang«, ermahnte Marla sich, drückte ein wenig Zahnpasta auf ihren Finger und bearbeitete ihre fixierten Zähne. Diese kleinen Erinnerungsfetzen waren doch sicher Vorboten ihrer vollständigen Genesung. »Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut, nicht einmal San Francisco.« Doch sie konnte es kaum erwarten, ihre eigene Geschichte zusammenzusetzen. Ungeduldig spülte sie den Mund aus.
Spontan durchsuchte sie den Medizinschrank und die Schubladen. In einer fand sie zwei Tablettengläschen. In dem einen befanden sich noch zwei Tetracycline, das andere war leer und hatte Premarin enthalten. In einer anderen Schublade fand sie eine Schere und begann sich damit die Haare zu schneiden. Immer kürzer, ein Büschel nach dem anderen, kurze Strähnchen mahagonifarbenen Haares fielen ins Waschbecken. Als sie fertig war, sah sie nicht schlimmer aus als vorher. Sie öffnete einen Behälter mit Mousse und knetete etwas davon ins Haar, sorgfältig die Naht vermeidend. Das war zwar nicht gerade Haute Coiffure, doch ihr Haar würde wieder nachwachsen, voller werden und die Naht verdecken.
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