Dark Silence - Denn deine Schuld wird nie vergehen
vierundzwanzig war er nicht mehr grün hinter den Ohren, doch in ihrer Gegenwart verlor er völlig den Verstand.
»Scheiße«, knurrte Nick und legte den Hörer zurück auf die Gabel. Man erwartete ihn zum Abendessen im Herrenhaus. Eugenia hatte einen ihrer als Einladung getarnten Befehle erteilt. Mit gespreizten Fingern fuhr er sich durchs Haar.
Da klopfte jemand sacht an seine Tür.
Mit düsterer Miene stapfte er durchs Zimmer und öffnete. Auf der Schwelle stand, eine kleine Faust zum neuerlichen Klopfen erhoben, Cherise. »Oh, gut, ich dachte schon, du wärst womöglich außer Haus«, sagte sie und segelte ohne Einladung in sein Zimmer, eingehüllt in eine Wolke von Parfüm, das ihm irgendwie vertraut vorkam – aus einer Zeit, die lange zurücklag. Cherise war nervös, versuchte jedoch, sich lässig zu geben in ihrer schwarzen Lederjacke, Jeans und Pullover. Ihr blondes Haar war hochgekämmt und am Hinterkopf mit glitzernden Spangen festgesteckt, und sie trug mehr Make-up als nötig. Goldene Augen, umrahmt von dichten schwarzen Wimpern, sahen zu ihm auf. »Ich bin gekommen, weil ich etwas mit dir besprechen muss.«
»Moment mal, woher weißt du überhaupt, in welchem Hotel ich wohne?«, fragte Nick. Sie zuckte nur die Achseln und legte ihren feuchten Regenschirm unter dem Tisch ab.
»Monty hat es irgendwie herausgefunden.«
»Wie hat er das denn angestellt?«
»Keine Ahnung … Er hat eben Beziehungen.«
Was immer das heißen mochte. Doch Montgomery Cahill war schon immer ein gewiefter Typ gewesen. Onkel Fenton sollte angeblich mal gesagt haben, sein Sohn habe eine Spur Schlangenöl im Blut. Nick glaubte es. Und er war außerdem davon überzeugt, dass jeder mit dem Namen Cahill mit diesem genetischen Makel gesegnet war. Nick verfolgte das Thema nicht weiter, und Cherise ließ sich in einen Sessel beim Fenster sinken und blickte durch die halb geschlossenen Vorhänge hinaus.
»Möchtest du etwas trinken?«
»Nein … Ich … Ich trinke nicht mehr, seit ich zu Jesus gefunden habe.« Sie schüttelte heftig den Kopf, wobei ihre Haarspangen im Lampenlicht funkelten.
Schön . »Aber es stört dich nicht, wenn ich etwas trinke?«
»Tu, was du nicht lassen kannst. Ich versuche, mich nicht zum Richter aufzuschwingen.«
»Sehr vernünftig«, versetzte Nick und dachte daran, welche Vorliebe sie als Teenager für Marihuana, Speed und LSD gehabt hatte. Irgendwann war sie dann kokainabhängig geworden und musste sich zwischen Ehemann Nummer zwei und drei einer Entziehungskur unterziehen. Wie es schien, hatte sie jetzt durch ihren derzeitigen Ehemann ihre religiöse Ader entdeckt. Nick öffnete die Minibar und nahm eine Dose Bier heraus. »Du sagtest, dass du aus einem bestimmten Grund gekommen bist.« Er riss die Dose auf und setzte sich ans Fußende des Bettes.
»Es geht um Marla.« Cherise hockte auf der äußersten Kante des Sessels, als wollte sie jeden Augenblick die Flucht ergreifen.
»Was ist mit ihr?«
»Ich hatte gehofft, du hättest schon mit Alex darüber geredet, dass ich sie besuchen will.«
»Nun, ich habe es zur Sprache gebracht. Er ist jedoch der Meinung, sie sollte noch keinen Besuch empfangen.«
»Aber wir sind Verwandte«, beschwerte Cherise sich. »Du weißt doch, dass Marla und ich uns schon immer eng verbunden waren.«
Das war ihm neu. Oder es war eine Lüge. Er trank einen großen Schluck aus der Dose. »Das wusste ich nicht.«
»Komm schon, Nick. Du wirst dich doch erinnern. Wir steckten ständig zusammen, als du … na ja, als du mit ihr zusammen warst.«
»Ich erinnere mich wirklich nicht.«
»Aber es stimmt. Sie war eine meiner besten Freundinnen.« Sie spielte beim Reden an dem Verschluss ihrer winzigen Handtasche herum, ihre nervösen Fingerchen mit dem violetten Nagellack öffneten und schlossen den goldenen Druckknopf. Klick, klick, klick. »Und jetzt lässt Alex mich nicht zu ihr. Ich weiß nicht, ob er es nur mir verbietet oder ihren anderen Freundinnen auch, aber ich finde es nicht richtig.«
»Wie gesagt, er hält nichts davon, dass Marla Besuch empfängt. Ich bezweifle, dass ich ihn umstimmen kann.«
»Um Himmels willen, dann übergeh ihn doch einfach und sag Marla, dass ich sie sehen will«, forderte Cherise.
»Diese … Zuneigung oder Freundschaft, die du Marla entgegenbringst, hat nicht vielleicht etwas mit deinen und Montys Behauptungen zu tun, man hätte euch um euer Erbe gebracht?«
Bildete er es sich nur ein, oder kniff sie kaum merklich die Augen
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