Dark Swan - Mead, R: Dark Swan
nach ihrer Handarbeit und starrte darauf, als hätte das Teil sie persönlich beleidigt. Ich war fast schon bei der Tür, als sie plötzlich fragte: „Eugenie?“
Ich sah mich um. „Ja?“
„Bringst du mir Twinkies mit?“
Ich schmunzelte. „Klar.“
Sie sah nicht von ihrer Stickerei auf, aber ich war mir fast sicher, dass sie auch schmunzelte.
KAPITEL 3
Gut, ich hatte mich allmählich damit angefreundet, Königin des Dornenlands zu sein, und man fühlte sich zwangsläufig zu einem Ort hingezogen, mit dem man spirituell verbunden war. Trotzdem kam nichts, was die Anderswelt zu bieten hatte, an mein Zuhause in Tucson ran. Das Haus war klein, lag aber in einer netten Gegend nördlich der Stadt, in der Nähe der Catalina Mountains. Tore zwischen den Welten gab es überall, was das Reisen erleichterte, aber ich besaß zu Hause einen „Anker“, was bedeutete, dass ich, wenn ich in der Anderswelt durch ein Tor trat, direkt in meinem Schlafzimmer wieder rauskommen konnte. Als Anker konnte jeder Gegenstand dienen, der mit der eigenen Essenz verbunden war.
Mein Mitbewohner Tim, der mich ein paar Tage nicht gesehen hatte, bekam verständlicherweise einen Schreck, als ich in die Küche spazierte.
„Himmel, Eug!“ Er stand am Herd und wendete gerade einen Pancake. „Wir müssen dir wirklich mal ein Glöckchen um den Hals hängen oder so.“
Ich grinste und hatte das unerklärliche Bedürfnis, ihn zu umarmen– wobei ich wusste, dass er dann erst recht ausgeflippt wäre. Nach den ganzen Verrücktheiten der Anderswelt war seine Normalität ein willkommener Anblick. Na ja, Normalität in Anführungszeichen. Tim war ein großer, dunkelhaariger und gut aussehender Mann und irgendwann auf die Idee gekommen, sich– mehr schlecht als recht– als Indianer auszugeben, um Frauen aufreißen und den Leuten seine schrecklichen Gedichte andrehen zu können. Er spielte diverse Stämme durch und hatte sich meines Wissens zuletzt als Tlingit ausgegeben, weil es die hiesigen Indianer weniger nervte, wenn er in das Outfit eines Stammes schlüpfte, der etliche Hundert Kilometer entfernt lebte. Ich konnte froh sein, dass er heute nur ganz normal Jeans und T-Shirt trug.
„Machst du genug für zwei?“ Ich steuerte gleich mal die volle Kaffeekanne an. Er wohnte mietfrei bei mir, übernahm dafür aber Kochen und Hausarbeit.
„Ich mache immer genug für zwei. Aber das meiste landet im Müll.“ Den letzten Satz grummelte er. Früher hatte er sich darüber beschwert, mein „Sklave“ zu sein; jetzt fehlte ich ihm.
„Irgendwelche Nachrichten?“
„An der üblichen Stelle.“
Ich ließ mein Handy bei Tim, wenn ich in die Anderswelt wechselte. Dadurch war er gezwungen, meine Sekretärin zu spielen, was er nicht ausstehen konnte, zumal ich bereits eine beschäftigte. Tatsächlich stammten die meisten Nachrichten, die er auf die weiße Kühlschrankfläche gekritzelt hatte, von ihr.
Di 11:00– Lara: zwei Jobangebote
Di 14:30– Lara: potenzieller Klient braucht schnellstmöglich Hilfe
Di 17:15– Lara: möchte dich immer noch sprechen
Di 17:20– Lara: braucht dich für die Steuern
Di 22:30– Lara: ruft ständig an
Mi 8:00– Lara: wer klingelt Leute denn dermaßen früh raus?
Mi 11:15– Miststück
Mi 11:30– Sams Renovierservice: interessiert an Fassadenverkleidung
aus Vinyl?
Ich fand es toll, wie genau er alles aufschrieb– von seinen Kommentaren mal abgesehen–, aber es versetzte mir einen Stich, wenn ich sah, wer auffallend fehlte. Jedes Mal, wenn ich heimkam, hoffte ich insgeheim, ihre Namen dort zu finden. Meine Mutter erkundigte sich manchmal heimlich, still und leise nach mir. Aber mein Stiefvater, Roland? Er rief überhaupt nicht mehr an, seit er von meiner Verbundenheit mit der Anderswelt erfahren hatte.
Tim war mit Kochen beschäftigt und sah mein Gesicht nicht. „Ich verstehe nicht, warum sie immer wieder anruft. Sie weiß doch, dass du ihre Nachrichten nicht bekommen kannst. Warum muss sie dann mehr als eine hinterlassen? Es ist ja nicht so, dass die hundertste dann auf magische Weise zu dir durchdringt.“
„So ist sie eben. Sie ist effizient.“
„Das ist nicht effizient. Das hat was vom Borderlinesyndrom an sich.“
Ich seufzte und fragte mich nicht zum ersten Mal, ob ich Anrufe nicht lieber an die Mailbox gehen lassen sollte. Obwohl sie sich nie kennengelernt hatten, waren Tim und Lara telefontechnische Todfeinde. Ihre abfälligen Bemerkungen übereinander ödeten mich an. Allein schon
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