Dark Swan - Mead, R: Dark Swan
so etwas konnte mich die ganze Nacht lang wachhalten. Ich war es leid, dass sich unsere Soldaten in Gefahr brachten. Ich war es leid, dass sich Dorian in Gefahr brachte. Ich wollte, dass das Morden aufhörte. Kiyo hatte das immer als ganz einfach dargestellt. Schön, wenn es so gewesen wäre.
Nach einer Weile gab ich es auf mit Einschlafen. Ich schlüpfte aus Dorians Umarmung und stieg aus dem Bett. Da wir über Nacht hatten bleiben wollen, hatte ich bequeme Kleidung eingepackt, aber nichts weiter. Ich sah seinen Kleiderschrank durch, der doppelt so groß wie meiner war, und fand eine schwere grüne Robe aus Satin. Sie war mir viel zu groß, aber bestens zum Einkuscheln geeignet. Ich verließ das Zimmer, ich musste mir meine Grübeleien dringend ablaufen.
Die Gänge des Schlosses lagen still, alle Feiernden waren inzwischen im Bett. Ich ging barfuß den Steinboden entlang und musste aufpassen, dass ich nicht über den zu langen Saum stolperte. Einige Wachsoldaten nickten, wenn ich vorbeikam, und murmelten: „Eure Majestät.“ Ich wusste längst, dass manche meiner menschlichen Angewohnheiten die Feinen zwar auf ewig verwundern würden, aber die meisten Handlungen eines Monarchen– so bizarr sie auch sein mochten– nicht infrage gestellt wurden. Es scherte niemanden sonderlich, dass ich in Dorians Robe herumspazierte.
Ich gelangte bei einem Paar Glastüren an, die auf einen von Dorians bezaubernden Innenhöfen führten. Ich wusste, dass es dort kühl sein würde, aber draußen zu sitzen kam mir plötzlich wie eine gute Idee vor. Auch dort stand ein aufmerksamer Wachsoldat und öffnete bei meiner Annäherung die Tür. Ich kannte diesen Innenhof und wusste, dass in der einen Ecke ein Tisch mit einer wunderschönen Mosaiktischplatte stand. Es gab wenig Licht nachts, aber ich hatte von dem Stuhl aus, auf den ich mich setzte, einen guten Blick auf den Garten und die unzähligen Sterne am Himmel. Hier und da standen Fackeln auf langen Stielen, gerade so viele, dass man sich orientieren konnte, aber wenige genug, dass sie den Zauber der Nacht nicht zerstörten.
Die Schönheit und der Frieden beruhigten mich ein wenig, aber meine Sorgen wegen des Krieges ließen sich nicht abschütteln. Ich hatte so viel Zeit meines Lebens mit Kämpfen verbracht, dass ich mich als unempfindlich gegen Blut und Töten betrachtet hatte. Nun wusste ich, dass es einen großen Unterschied zwischen dem Töten einer Einzelperson und dem massenhaften Tod gab. Für den Tod eines Einzelnen gab es– normalerweise– einen guten Grund. Damit wurde die schuldige Seite bestraft. Mit toten Armeen auf dem Schlachtfeld wurde niemand bestraft als die Unschuldigen.
„Mylady Dornenkönigin?“
Die zischelnde Stimme aus der Dunkelheit ließ mich einen Satz machen. Zunächst sah ich nichts und fragte mich schon, ob ich ein Gespenst vor mir hatte. Dann machte ich zwischen einigen Bäumen einen dunklen Umriss aus. Er kam näher und erwies sich als eine verhutzelte Feine. Sie war klein, nicht mal so groß wie Jasmine, aber ihre weißen Haare waren dicht und glänzend, ihre Kleider prächtig. Unmittelbar vor mir blieb sie stehen.
„Wer… wer bist du?“, fragte ich. Meine Worte kamen streng heraus, was vor allem an meiner Verblüffung lag.
Sie störte sich nicht daran. Wie ich schon sagte, das Verhalten einer Königin stellt man nicht infrage. „Ich heiße Masthera.“
Mich überlief ein Schaudern, und zwar nicht von der Kühle der Nacht. Die Frau hatte etwas Beunruhigendes an sich. „Was machst du hier draußen?“
„Ich bin gekommen, weil ich Euch sprechen wollte, Majestät. Der Krieg bereitet Euch Sorgen. Ihr möchtet, dass er ein Ende findet.“
„Woher weißt du das?“
Sie breitete die Hände aus. „Ich bin eine Seherin. Ich spüre, was da ist, und manchmal, was kommt. Und ich biete meinen Rat an.“
Das vertrieb einiges von meiner Furcht. „Seherin“ war in meinen Augen nur ein schickeres Wort für „Hellseherin“. Wenn man so oft mit dem Übernatürlichen zu tun hatte wie ich, liefen einem jede Menge Leute mit „hellseherischen Fähigkeiten“ über den Weg. Die meisten waren Betrüger, und das galt vermutlich für Feine ebenso wie für Menschen.
„Bist du gekommen, um mir deinen Rat anzubieten?“, fragte ich trocken.
Masthera nickte mit ernstem Gesicht. „Ja, Eure Majestät. Ich bin gekommen, um Euch zu sagen, wie Ihr dem Krieg ein Ende setzen könnt– ohne weiteres Blutvergießen.“
KAPITEL 6
Ich sah mich nervös
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