Dark Swan - Mead, R: Dark Swan
sagte sie wieder. „Ich weiß, wo sie ist. Ich kann Sie dorthin führen.“
Wieder unterbrach ich die Verbannung, und mir fiel ein, was Dorian gesagt hatte. „Geistwesen ist der Weg versperrt.“
„Ja. Aber ich weiß, wo er anfängt. Sie wissen nicht einmal das. Ich kann Sie dorthin bringen, und dann können Sie den Rest des Weges allein gehen.“
„Ich glaube dir nicht. Warum sollte ich auch. Wer weiß, vielleicht ziehst du mich ja bloß in deinen kleinen Fall rein und verkrümelst dich dann.“
Das brachte mir nun doch noch eine Gefühlsregung ihrerseits ein. In den blassen Augen flackerte Zorn. „In meinen kleinen Fall? Dabei geht es um meine Familie! Um das Leben meiner Angehörigen! Sie bedeuten mir alles.“
„Sie haben dir alles bedeutet“, korrigierte ich. „Es wird Zeit, dass du dich von dieser Welt löst.“
Sie kniff die Lippen zusammen, als ob sie sich zusammenreißen musste. „Ich bringe Sie erst dorthin. Und wenn Sie dann die Krone haben, helfen Sie mir. Ich bin es, die sich auf Ihr Wort verlässt. Sie haben nichts zu verlieren.“
„Außer mein Leben. Eine Krone, die nichts kann und mich aber vielleicht den Hals kostet, ist eine sehr riskante Sache. Ich glaube noch nicht einmal an Mastheras wirre Gedankengänge.“
„Andere Geister sagen, die Krone kann, was Masthera sagt. Alte Geister. Die sich noch daran erinnern.“
Na, das beantwortete immerhin eine meiner Fragen. Von der zweifelhaften Natur der Krone einmal abgesehen, war jetzt klar, warum diese Geisterfrau hier überhaupt von so einem alten Ding wusste. Der Schmerz, der sie an diese Welt band, machte sie stark, aber ansonsten hätte sie als so junges Geistwesen eigentlich kaum etwas über legendäre Artefakte wissen dürfen.
„Das ist doch alles lächerlich“, sagte ich. „Wird Zeit, dass du verschwindest.“
„Durchaus. Lassen Sie sich mein Angebot durch den Kopf gehen. Rufen Sie mich herbei, wenn Sie so weit sind. Ich heiße Deanna.“
Und ebenso leicht, wie sie gekommen war, verschwand sie wieder und kam so meiner Verbannung zuvor. Was nun weniger an meinen Fähigkeiten lag als an meinen Zweifeln. Ihre Worte hatten einen Nerv getroffen. Hatte den winzigen Funken einer Frage entzündet, der Frage, ob es vielleicht wirklich irgendeinen verrückten Weg gab, diesen Krieg zu beenden. Wenn die Legenden stimmten. Wenn Deanna nicht log. Wenn ich nicht starb, weil ich mich allein auf eine Reise voller Gefahren machte.
Ich schüttelte den Kopf und konnte nicht fassen, dass ich sie hatte gehen lassen. Nächstes Mal. Nächstes Mal würde ich sie zur Unterwelt verbannen, sobald bloß ihre Nase zum Vorschein kam. Aber jetzt musste ich zu Dorian. Ich hatte schon genug Zeit vertrödelt. Rasch packte ich meine Sachen wieder in die Reisetasche und machte mich auf den Weg.
Tim und Lara saßen immer noch im Wohnzimmer. Als Tim begriff, was die Tasche bedeutete, stellte er den Fernseher wieder leise. Er machte ein besorgtes Gesicht; das kannte ich gar nicht von ihm.
„Eug… hältst du es wirklich für eine gute Idee, ins Nimmerland rüberzugehen, nachdem du gerade heute Abend erst dermaßen Prügel bezogen hast?“
„Du solltest den anderen mal sehen.“ Ich hängte mir die Reisetasche über die gute Schulter und passte auf, dass sie nicht an meinen Rücken kam. „Außerdem, so traurig es ist, bin ich drüben wahrscheinlich sicherer als hier.“
Er seufzte, und ich konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Ich sah zu Lara. „Ich bin so rasch wieder zurück, wie ich kann.“
Sie machte ein ebenso ernstes Gesicht wie Tim. „Ich glaube, wir sollten unsere Preise nach oben korrigieren.“
Ich lachte. „Gut möglich.“
Dann fuhr ich zu einem Tor, das in die Nähe von Dorians Schloss führte. Ich hatte auch bei ihm einen Anker liegen, der mich anzog, sobald ich dort rauskam. Ich tauchte in einer kleinen, leeren Kammer wieder auf, die er ausschließlich für den Anker reservierte. Trotz meiner Verletzungen war mir der Wechsel nicht schwergefallen. Vor langer Zeit hatte ich nicht einmal in meiner menschlichen Gestalt hinüberwechseln können. Ich war dann als das Totem meiner Seele erschienen: als schwarzer Schwan. Inzwischen fiel mir der Wechsel so leicht wie der Schritt durch eine Tür. Meine Macht war tatsächlich gewachsen– wie Kiyo und meine Eltern gefürchtet hatten.
Ich war kaum ein Stück den angrenzenden Flur hinuntergegangen, als mich ein Diener erblickte. „Eure Majestät“, stammelte er und bekam eine unbeholfene
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