Dark Swan: Schattenkind (German Edition)
schaffte es gerade noch, auf den Beinen zu bleiben. Ohne jede Eleganz allerdings, eher wie eine betrunkene Balletttänzerin. Da Varia mein ganzes Publikum darstellte, war mir das aber ziemlich egal.
»Was … tut Ihr da?«, fragte ich mit gefletschten Zähnen und kämpfte darum, die Kontrolle zu behalten.
»Was eben meiner Natur entspricht«, entgegnete Varia. »Nun kommt. Habt Ihr gedacht, ich besäße keine eigenen Kräfte? Dass ich nur das Handeln anderer in meinem Sinne orchestriere?«
Ehrlich gesagt hatte ich darüber gar nicht groß nachgedacht. Wir hatten viel über die komplexen Gruppenzauber geredet, die im Eibenland gewirkt wurden. Die Tatsache, dass Varia Herrscherin über ein Königreich war, setzte voraus, dass sie über beachtliche magische Kräfte verfügte, aber die Einzelheiten waren angesichts der größeren Bedrohung der Plage unwichtig gewesen. Nun, als ein durchdringendes Summen meine Ohren erfüllte, wurde mir klar, dass Varia anscheinend über die Fähigkeit verfügte, auf den Gleichgewichtssinn und die neurologischen Funktionen anderer einzuwirken. Weniger wissenschaftlich, sondern eher auf Feinenart ausgedrückt: Sie konnte einem ›den Kopf durcheinanderbringen‹.
Es war verblüffend und frustrierend zugleich, wie sehr einen das einschränkte. Eigentlich genauso frustrierend wie meine Unfähigkeit, zu heilen. Feinenmagie drückte sich auf vielfältige Weise aus, und meine manifestierte sich vor allem physisch. Hätte Varia angefangen, Feuerkugeln nach mir zu werfen, dann hätte ich darauf mit greifbaren Elementen reagieren können. Auf einen solchen Angriff jedoch, der unsichtbar und praktisch von psychischer Natur war, konnte ich schlecht einen Blitz loslassen. Ich konnte auf sie einen Blitz loslassen, aber dazu musste ich erst diese Hirnschmelze zurückdrängen – und das war im Moment doch verflixt schwierig. Ich konnte eigentlich nur darauf hoffen, dass die anderen Monarchen es hier hereinschafften, bevor Varia uns umgebracht hatte. Eine solche Kontrolle konnte sie doch wohl nicht über eine ganze Anzahl von Leuten zugleich ausüben, und irgendjemand war ja vielleicht auch widerstandsfähiger als –
Ich schnappte nach Luft, als mir eine Erleuchtung kam. Dann nahm ich all meine Kraft zusammen, bemühte mich, Varias mentale Attacke so gut es ging zu ignorieren, und streckte meinen selbst gebauten Zauberstab vor. Es gelang mir, Volusians Rufworte zu intonieren, aber ich hatte keine Ahnung, ob ich ihn in meinem angeschlagenen Zustand wirklich holen konnte. Wundersamerweise materialisierte er sich.
»Volusian!«, rief ich. »Hilf uns!«
Volusian reagierte nicht sofort. Tatsächlich sah er mich nicht einmal an. Obwohl sein Umriss waberte und flirrte, brannten seine roten Augen hell und gleichmäßig, als er seinen Blick auf Varia richtete.
»Varia, Tochter der Ganene«, sagte er beinahe höflich. »Ihr seht Eurer Mutter sehr ähnlich.«
Varia runzelte die Stirn, und die Magie, mit der sie auf mich einwirkte, ließ ein winziges bisschen nach. Anscheinend konnte sie sich wirklich nur auf eine gewisse Anzahl von Leuten zugleich konzentrieren, was auf den Moment hoffen ließ, wenn meine Verstärkung eintraf. Was hoffentlich nicht mehr lange dauerte.
»Wer bist du?«, wollte Varia wissen. » Was bist du? Du hast etwas an dir … das vertraut und unvertraut zugleich ist.«
»Es sollte Euch vertraut sein, denn ich trage noch immer das Brandmal der Magie Eurer Mutter und Eurer Großmutter.«
Ihr Blick huschte zu mir, als ob sie sich noch einmal ins Gedächtnis rief, mit welchen Worten ich ihn gerufen hatte. »Volusian? Doch ganz sicher nicht … nicht der Volusian. Er ist vor langer Zeit gestorben.«
»Gestorben und doch nicht tot«, sagte er. »Den Bedingungen des Fluchs entsprechend.«
Ich fand seine Lebensgeschichte zwar durchaus faszinierend, aber dafür fehlte uns die Zeit. »Volusian, Schluss mit dem Plauderstündchen! Unternimm etwas und hilf uns!«
»Gern, Herrin.«
Volusian machte Anstalten, anzugreifen, aber er kam nicht weit. »Nein!«, kreischte Varia, und von ihrem mentalen Angriff gegen mich war nichts mehr zu spüren. Stattdessen spürte ich, wie unsichtbare Kraftwellen durch die Luft flossen und die Bande zu zerreißen drohten, die Volusian und mich zusammenhielten. Seine Gestalt flackerte, und ich konnte kaum glauben, was geschah.
»Das kann nicht sein«, hauchte ich. »Sie versucht, ihn zu verbannen.« Da ich ihn alleine nie hätte verbannen können, dachte ich
Weitere Kostenlose Bücher