Dark Swan: Schattenkind (German Edition)
sah Roland sich misstrauisch um, als wären in den Wänden magische Ohren versteckt. »Aber ich werde dir erst im allerletzten Moment erzählen, wo.«
»Das ist auch richtig so«, sagte ich, obwohl ich fast verging vor Neugierde.
»So viel kann ich dir verraten: Es ist eine kleine Stadt, in der es auch eine Schamanin gibt – eine alte Freundin von mir, der ich blind vertraue. Sie weiß nicht im Einzelnen, was los ist, aber sie ist sich bewusst, dass du in Gefahr bist. Sie wird dich auch mit Zähnen und Klauen verteidigen, falls es nötig ist.« Er lächelte trocken. »Und dank ihr gibt es auch keinen Grund für dich, eine schamanische Hausreinigung durchzuführen. Wenn du mitbekommst, dass irgendwo etwas los ist, sagst du ihr einfach Bescheid.«
Als Nächstes stand die höchst komplexe Frage an, wie ich zu diesem geheimen Ort kommen sollte. Das Gelände der Anderswelt entsprach ganz grob dem der Menschenwelt. Sie fügten sich nicht exakt aneinander, aber die Tore besaßen eine geografische Ähnlichkeit. Ich hatte zum Beispiel ein Lieblingstor im Dornenland, das zurück nach Tucson führte. Ein Königreich weiter, in Dorians Land, gab es ein Tor, das sich in Neumexiko öffnete. Durch ein weiteres in der Nähe ging es nach Texas. So war es in dieser Region der Anderswelt; die meisten Kreuzwege führten in den amerikanischen Südwesten. Darum musste ich, wenn ich nach Ohio wollte, ins Jelängerjelieberland reisen. Aus Rolands Andeutungen konnte ich schließen, dass das Versteck nicht im Südwesten lag, was bedeutete, dass ich entweder in dieser Welt oder in der Menschenwelt eine weite Reise unternehmen musste.
Wir arbeiteten einen ziemlich komplizierten Plan aus, und dann machte Roland sich wieder auf den Weg, wie es so seine Art war, um dafür zu sorgen, dass drüben nachher alles passte. Der Plan sah vor, dass ich am nächsten Morgen aufbrach, was erschreckend kurzfristig war. Aber in dieser Situation … na ja, je früher wir das Ganze durchzogen, desto besser.
Am Abend brachte mir kurz nach Rolands Aufbruch ein Diener die Nachricht, dass Dorian mich in seinen Gemächern zu sprechen wünschte. Ich wäre fast in Lachen ausgebrochen. Es war so was von typisch für ihn, mich in meiner eigenen Burg rufen zu lassen, als wäre er hier der Herrscher und nicht ich. Auf der anderen Seite fragte ich mich erschrocken, was wohl los war. Hatte er trotz unserer ganzen Vorsichtsmaßnahmen mitbekommen, was Roland und ich vorhatten? Hatte Jasmine geplaudert? Hatten die Wände etwa doch magische Ohren?
Als ich Dorians Gemächer betrat, war alles gar nicht so schlimm. Wie die meisten größeren Gästesuiten in der Burg bestand auch sein Gemach aus einem abgetrennten Schlafzimmer und einem Salon. In Letzterem war ein Tisch für zwei gedeckt worden, mit goldenem Seidentischtuch und einem Kandelaber, dessen merkwürdig sich verzweigende Arme sämtlichen Gesetzen der Physik zu widersprechen schienen. Unter normalen Umständen hätte ein solches Arrangement sofort sämtliche Alarmglocken in meinem Kopf losschrillen lassen, und ich hätte mich gefragt, was Dorian nun schon wieder vorhatte. Aber heute Abend war ich eher nervös wegen morgen als misstrauisch.
Dorian hatte sich schon gesetzt und lud mich mit einer Handbewegung ein, ihm gegenüber Platz zu nehmen. Als ich saß, betrachtete er mich. »Ich hatte sehr gehofft, dass du etwas tragen würdest, das ein wenig feierlicher ist. Samt und Spitze vielleicht. Tief ausgeschnitten, versteht sich.«
»Und wie sich das versteht.« Ich hatte Jeans an und ein T-Shirt, das dank meiner breiter werdenden Taille eine Nummer größer war als normalerweise. »Vielleicht setzt du mich nächstes Mal besser vorher in Kenntnis, wenn es einen feierlichen Anlass gibt.« Ein Diener kam hereingerauscht, durch dieselbe Tür wie ich eben; er hatte zweifelsohne schon auf meine Ankunft gewartet. Er stellte eine Platte mit quicheähnlichen Törtchen auf den Tisch und huschte wieder davon. »Was ist es denn überhaupt für ein Anlass?«
Dorian seufzte dramatisch. »Ein trauriger, fürchte ich. Morgen … reise ich ab.«
»Ach so?« Einen Moment lang brandete Hoffnung in mir auf, und ich spielte mit dem Gedanken, mich einfach erst dann davonzustehlen, wenn er schon weg war. Dann brauchte ich ihm nicht einmal zu erzählen, was ich vorhatte.
»Jawohl, so ist es.« Er schwenkte ein Glas Rotwein. Dieses eine Mal hatte er mich nicht gedrängt, ebenfalls welchen zu trinken. »Ich habe meine Zeit hier in deiner
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