Dark Swan: Schattenkind (German Edition)
zum Beispiel, ob sich das Purpur in seiner Robe nicht mit dem Braun seines Pferdes biss. Andere griffen nicht zu solchen Finten. Rurik etwa drängte sich einfach in das Gespräch und starrte Kiyo finster an, bis er sich verkrümelte.
Von seiner Nerverei einmal abgesehen, gab sich Kiyo ansonsten alle Mühe, einen auf ›Wir sind doch alle zivilisierte und freundliche Leute‹ zu machen. Was besser war, als sich aggressiv und gemeingefährlich zu geben; bloß kam es mir nach allem, was er mir angetan hatte, trotzdem albern vor. Ich konnte wirklich nicht fassen, dass er anscheinend von mir erwartete, alles zu vergeben und zu vergessen.
Bei Tageslicht kundschaftete er meistens die Umgebung aus, sodass ich ein bisschen Ruhe hatte. Eines Nachmittags kam er in seiner Fuchsgestalt zu uns zurückgesaust und strahlte eine Dringlichkeit aus, die ihm sogar als Tier noch anzusehen war. Wir blieben sofort stehen, zogen die Waffen und wappneten uns gegen eine Meute Schneemenschen hinter der nächsten Biegung. Kiyo gelangte bei uns an und verwandelte sich in einen Menschen.
»Was ist los?«, wollte ich wissen. Ich war müde und hatte Kopfschmerzen – wahrscheinlich vor Hunger –, war aber bereit zu kämpfen, wenn es sein musste.
Kiyo holte keuchend Luft, was bedeutete, dass er ganz schön gerannt war. In seiner Fuchsgestalt geriet er nicht so schnell außer Puste. »Das … das müsst ihr euch ansehen. Ihr werdet es nicht glauben.« Er bemerkte unsere Anspannung. »Und ihr braucht eure Waffen nicht.«
»Was ist denn?«, fragte Rurik und machte keinerlei Anstalten, sein Schwert wegzustecken.
»Das müsst ihr mit eigenen Augen sehen«, sagte Kiyo voller Staunen. »Es ist unglaublich.« Er verwandelte sich wieder in einen Fuchs und trottete los. Nach ein paar Metern blieb er stehen und sah sich um, ob wir ihm auch folgten. Wir schlugen ein vorsichtiges Tempo an und behielten alle unsere Waffen in der Hand.
»Nun hat der Kitsune den Verstand verloren«, sagte Dorian mit gespielter Traurigkeit. »Ich habe gewusst, dass es früher oder später so kommen würde. Wenn nicht vor Kälte oder vor Hunger, dann einfach aus seiner Natur heraus. Man sieht so etwas kommen, wisst ihr. Ich habe es schon seit Langem kommen sehen, aber auf mich wollte ja niemand hören.«
Ich musste trotz meiner Besorgnis grinsen. »Richtig. Du bist wahrlich ein – «
Dann blieb mir die Spucke weg. Das Land um uns herum hatte sich verändert, wie es jeden Tag ein paarmal passierte. Aber diesmal … war nirgendwo mehr etwas von der Plage zu sehen.
Strahlender Sonnenschein und ein knallblauer Himmel ließen mich fast zusammenzucken, nachdem wir eine so lange Zeit in den trostlosen Landschaften der Plage zugebracht hatten. Statt klirrender Kälte war Vogelgesang zu hören und das Schnattern anderer Tiere. Bäume – mit Blättern daran – breiteten sich so weit das Auge reichte aus, leuchtend grün und lebendig. Und die Temperatur … die war das Erstaunlichste an der ganzen Sache. Wahrscheinlich waren es nur ungefähr einundzwanzig Grad, aber nach der Plage kam es mir so vor, als wären wir plötzlich in den Tropen.
»Hier gibt es keine Plage!« Jasmine riss ihre grauen Augen auf. »Das sieht aus wie – Pflaumen! Ich fass es nicht! Pflaumen!«
Schwupps, war sie von ihrem Pferd heruntergesprungen und rannte zum nächstbesten Baum. Mit einer Gewandtheit, die ich von ihr gar nicht kannte, huschte sie am Stamm nach oben und fing an, lila und gelbe Früchte zu pflücken, sobald sie an die Äste herankam. Sie warf mehrere Pflaumen nach unten und hüpfte dann hinterher, mit einer ganz großen für sich selbst in der Hand. Sie biss hinein, der Saft lief ihr das Kinn hinab, und sie machte ein Gesicht, als würde sie gleich vor Ekstase in Ohnmacht fallen.
Wir anderen verschwendeten keine Zeit. Wir stiegen auch ab und schwelgten ebenfalls in Pflaumen. Das Verrückte war, dass ich Pflaumen eigentlich gar nicht mochte, aber in diesem Moment waren sie das Köstlichste, was ich je gegessen hatte. Unser Proviant hatte vor allem aus getrockneten und gesalzenen Lebensmitteln bestanden, die unterwegs gut hielten. Etwas so Süßes und so Frisches zu essen, war überwältigend. Außerdem gab es keine Rationierung. Wir konnten so viel essen, wie wir wollten – und das machten wir auch. Ich zweifelte nicht daran, dass ich es später bereuen würde, aber jetzt gerade war es herrlich, sich den Bauch vollzuschlagen. Als ich fertig war, streckte ich mich im Gras aus und konnte
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