Dark Thrill - Zwei Romane in einem Band: Sommergeheimnisse/Idylle (German Edition)
seufzte abermals. Das würde nicht viel bringen, da sein Vater ein festes Morgenritual pflegte. Er setzte sich mit der Zeitung erst mal eine gute halbe Stunde auf den Porzellanthron.
Und Sam musste wirklich ganz dringend pinkeln. So schnell ihn die Füße trugen ohne zuviel Lärm zu veranstalten, eilte er die Treppe hinunter. Er durchquerte das Wohnzimmer und öffnete hastig die Terrassentür, lief barfuss den noch kühlen Steinweg, der sich durch den ganzen Garten schlängelte, entlang und stellte sich zu den Büschen am Zaun zum Grundstück der Franklins. Der Zaun war hoch genug, dass Sam unbeobachtet war. Nur wenn Sam sprang, konnte er einen Blick in den Garten der Franklins werfen. Und das hatte er nicht vor.
Mit einem Gefühl der Erleichterung ließ er der Natur freien Lauf. Als er bemerkte, dass er auf den Holunderbusch seiner Mom pinkelte, war es schon zu spät. Er fluchte leise und nahm sich vor, das nächste Mal nichts vom selbstgemachten Holundersaft seiner Mom zu trinken.
Hinter dem Zaun brüllte jemand. Demnach waren die Franklins ebenfalls schon munter. Sam konnte hören wie eine Tür zuschlug und kurz darauf ein Motor gestartet wurde. Dann ertönte das Quietschen von Reifen auf Asphalt.
Sam nahm an, dass sich die Franklins wieder mal gestritten hatten. Diese Streitereien kamen in letzter Zeit immer häufiger vor. Sam wusste nicht genau, um was es dabei ging, aber er hörte mehrmals wie Mr. Franklin seine Frau Hure und Schlampe schimpfte. Darauf fuhr er wie eben davon, manchmal war es auch Mrs. Franklin, die Leine zog.
Normalerweise war Madisons Dad ein ruhiger Mann, der kein böses Wort verlor. Doch in letzter Zeit trieb ihn etwas zur Weißglut. Madison kam dann häufig zu Sam hinüber, um die Streitereien ihrer Eltern nicht mit anhören zu müssen. Oft blieb sie bis spät in die Nacht. Manchmal verzogen sich auch Mr. Franklin und Sams Dad mit einem Sixpack auf die Terrasse, wo sie dann stundenlange Gespräche führten, die nicht für Sams Ohren gedacht waren. Sams Mom meinte, dass das so nicht weitergehen konnte und sie mit Lilly Franklin sprechen mussten. Dass sie Hilfe benötigte.
Sam sprach Madison nie auf die Dinge an, die bei ihr zuhause geschahen, aber er war immer für sie da, wenn sie ihn brauchte. Manchmal saßen sie einfach still nebeneinander, manchmal weinte sie und er hielt sie ihm Arm, um sie zu trösten.
Sam war beinahe fertig mit Pinkeln, als er erneut das Geräusch einer zuschlagenden Tür vernahm, gefolgt von sich nähernden Schritten und einem Schluchzen. Sam schüttelte rasch ab, packte alles in die Hose und lauschte. Das war nicht Mrs. Franklin und schon gar nicht Mr. Franklin.
»Madison?«, fragte er leise. Das Schluchzen hörte abrupt auf.
»Sammy?«, war von der anderen Seite des Zaunes zu hören. Madisons Stimme war tränenerstickt.
»Alles in Ordnung?« Dumme Frage, wenn alles in Ordnung wäre, dann würde Sie nicht weinen, du Knallkopf.
»Ja ... ich meine ... nein. Doch, alles bestens.«
Sam stapfte in den Erdstreifen vor ihm, bedacht darauf, nicht in seinen eigenen Urin zu treten, griff an die Oberkante des Holzlattenzaunes und zog sich hoch.
Madison saß zwei Meter neben dem Zaun in einer Sonnenliege. Sie trug ein Nachthemd und hatte die Knie angewinkelt, den Kopf zwischen ihren Beinen. Sam konnte nur ihren zersausten schwarzen Haarschopf sehen.
»He, was ist denn da los bei euch?«
Madison antwortete nicht.
Sams Arme begannen zu zittern wie Espenlaub. Er ließ sich hinunter, schüttelte seine Arme um sie zu lockern und zog sich erneut hoch.
»Ich mach mir nur Sorgen um dich, weißt du?«
Endlich hob Madison ihren Kopf und sah ihn an. Von ihren blauen Augen war nichts zu sehen. Nur ein See voller Tränen.
»Darf ich heute mit dir und deinen Eltern feiern? Ich möchte nicht zuhause sein«, sagte sie. Sie redete so leise, dass Sam Mühe hatte, sie zu verstehen.
»Klar. Meine Eltern haben bestimmt nichts dagegen, wenn du beim Picknick dabei bist. Meine Mutter macht sowieso immer zuviel Salat. Ist fast unmöglich zu dritt alles aufzuessen. Außerdem bist du meine Freundin.« Es war das erste Mal, dass er das aussprach.
Damit rang Sam Madison ein Lächeln ab. Er fand, sie hatte nie schöner ausgesehen. Es war wie die ersten Sonnenstrahlen hinter einem Wolkenvorhang.
»Du kannst kommen wann du willst. Dad hat vor, dass wir am Nachmittag in den Park fahren.«
»Danke, Sammy.«
»Nichts zu danken, Madison.«
Sie lächelte mild und er lächelte
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