Dark Thrill - Zwei Romane in einem Band: Sommergeheimnisse/Idylle (German Edition)
Sandmännchen. Aber nicht zu lange. Ich komm dann später nochmals nach dir sehen. Aber dann schläfst du bestimmt schon tief und fest.“
Melanie zog ihm die Decke bis ans Kinn. Das Gewitter hatte die Luft merklich abgekühlt und sie wollte nicht, dass ihr Sohn sich eine Erkältung zuzog.
Ohne ein Widerwort Kevins konnte sie das Zimmer verlassen. Oliver hatte Recht behalten, dass sich Kevin an die häufigen Gewitter schnell gewöhnen würde. Zwar ließ ihn der eine oder andere heftige Donner zusammenzucken, aber im Großen und Ganzen stand er dem Schauspiel gelassen gegenüber.
Er nahm das Buch vom Sandmännchen zur Hand und blätterte durch die Seiten mit den bunten Bildern.
Im Hintergrund drang das vertraute Plätschern von Wasser aus dem Badezimmer. Es klang bei Weitem nicht derart bedrohlich wie das Hämmern des Regens gegen die Fensterscheiben. Im gesamten Haus breitete sich der Duft von Melanies Badeöl aus. Jasmin.
Auch in ihrer Wohnung in Wien hatte es häufig danach geduftet.
Manchmal dachte Kevin noch an ihr altes Zuhause. Es war lauter und enger dort gewesen, aber gefallen hatte es ihm trotzdem. Dennoch, schöner war es hier in Kirchbergen. Eine Stadtwohnung konnte einfach nicht mit den Möglichkeiten, die ihr Haus und Garten bot, konkurrieren. Im Grünen herumzutollen blieb einem in der Stadt verwehrt. Sicher, es gab Parks, aber das war einfach nicht dasselbe. Der Park war für alle da. Der Garten war sein eigenes Reich. Hier konnte er tun und lassen was er wollte.
Und er mochte die Leute.
Besonders Herrn Sallinger fand er nett. So einen freundlichen Mann hatte Kevin noch nie zuvor kennen gelernt. Der war nicht so wie der alte, griesgrämige Nachbar, den sie in Wien gehabt hatten. Vor dem hatte Kevin Angst gehabt.
Und sogar einen Freund hatte er schon gefunden. M ikey hieß er. Merkwürdig war nur, dass sich nie jemand mit ihm unterhalten wollte. Dabei war er der netteste Kumpel, den Kevin je gehabt hatte. Mikey meinte, das wäre schon in Ordnung, Hauptsache Kevin redete mit ihm.
Kevin hatte den kleinen Jungen das erste Mal gesehen, als sie das Haus gekauft hatten. Durchs Fenster hatte er ihn beobachtet. Zunächst hatte Kevin Angst vor ihm gehabt – er war gleichaltrigen Kindern gegenüber grundsätzlich schüchtern -, doch der kleine Junge hatte ihm zugewinkt und angelächelt.
In letzter Zeit besuchte er Kevin häufig. Kevin wusste nicht so recht wie Mikey das machte, aber plötzlich steht er vor einem. Man sah und hörte ihn nicht kommen. Wie ein Geist.
Bei ihrem Kennenlernen war alles unbeschwert gew esen; sie hatten miteinander gespielt, gelacht, ihre Scherz getrieben. Doch Mikey hatte sich verändert. Sorgen standen ihm ins Gesicht geschrieben. Sorgen die so gar nicht zu einem kleinen Jungen passen wollten. Irgendetwas beunruhigte Kevins Freund. Ständig sprach er davon, dass sie besser nie hergekommen wären.
Und immer wenn Kevins Vater auftauchte, begann M ikey nervös und ängstlich um sich zu blicken. „Ich muss jetzt gehen“, sagte er dann und verschwand.
Einmal drückte er seinen Mund ganz dicht an Kevins Ohr und flüsterte geheimnisvoll: „ Dein Papa wird sich verändern, dann wird er böse.“ Dabei sah er ihm flehend in die Augen.
Kevin hatte keine Ahnung warum er das tat. Er liebte seinen Vater.
Er war nie böse zu ihm gewesen. Sein Papa machte alles für ihn. Sogar ein Baumhaus hatte er ihm versprochen. Welcher böse Vater versprach seinem Kind ein Baumhaus?
Nein, so sehr Kevin Mikey auch mochte, hinsichtlich seines Vaters irrte er sich gewaltig.
Donner grollte.
Götterbowling. Wolkenküsse. So nannte sein Vater es stets. Die vorangehenden Blitze konnte Kevin nicht be obachten. Seine Mutter hatte die Fensterläden geschlossen. Dafür hörte er die Regentropfen gegen sie hämmern.
Es wurde kalt im Zimmer. Dampfwölkchen stiegen von seinem Mund empor. Er vergrub sich tiefer in die behagl iche Wärme der Decke.
Das geschah jedes Mal wenn er auftauchte.
Über sein Buch hinweg sah Kevin die Gestalt mitten in seinem Zimmer stehen. Sie starrte ihn an.
„Mikey“, flüsterte Kevin.
Mikey sah sich unbehaglich um. Ganz so als fürchte er jeden Moment mit einem Angriff.
„Hör zu, Kevin. Wenn dein Papa dich holen kommt, geh nicht mit ihm mit. Ruf nach deiner Mama.“ Die Sti mme von Mikey
war nichts anderes als ein gehauchtes Flüstern. Substan zlos. Ganz fern und doch so nah, dass sie nur in Kevins Kopf existierte.
„Warum sagst du so etwas?“ Kevin legte das Buch
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