Dark Thrill - Zwei Romane in einem Band: Sommergeheimnisse/Idylle (German Edition)
fühlt sich an, als würden Wogen aus Feuer hindurch laufen. Noch stärker als zuvor presse ich die Zähne zusammen, bis sie protestierend knirschen. Ich schließe einen Augenblick die Augen, versuche, die Schmerzen mit purer Willenkraft zurück zu treiben. Mich von ihnen überwältigen zu lassen, darf ich mir nicht erlauben. Ich muss einen klaren Kopf bewahren. Nachdenken. Darüber, was ich als nächstes tun soll.
Nach einer scheinbaren Ewigkeit wage ich, den Druck der Zähne zu lockern und die Augen zu öffnen. Das Brennen in meinem Bein ist zu einem Lodern geworden, jedoch b ezweifle ich, dass ich aufstehen kann.
Gottlob leben wir im Zeitalter der Kommunikation.
Ich krame in der Hosentasche nach meinem Handy. Jetzt brauche ich bloß noch den Notruf zu wählen, mich zurücklehnen und entspannt auf das Eintreffen der Sanitäter warten. Ich drücke wahllos eine Taste, um das Gerät aus dem Standby-Modus zu holen. Nichts passiert. Das Display bleibt schwarz. Ich versuche es nochmals, mit demselben Ergebnis. Das vermaledeite Ding gibt keinen Mucks von sich. Scheinbar hat es, ebenso wie ich, den Unfall nicht unbeschadet überstanden. Fluchend verstaue ich es wieder in der Hosentasche.
Was jetzt, frage ich mich. Das einzige, was mir einfällt, ist, aufzustehen und den Kerl von der Straße zu suchen. Womö glich hat er ja ein funktionierendes Handy bei sich.
Leichter gesagt, als getan. Ich beschließe, dass, bevor ich überhaupt nur ans Aufstehen denke, ich mich zunächst um mein Bein kümmern sollte. Das Beste wäre es wohl, erst ei nmal den heraus ragenden Knochen dort hin zu tun, wo er hingehört - ins Innere meines Beins -, und danach die Wunde mit einem Fetzen Stoff abzubinden.
Mit einem Gefühl der Panik betrachte ich den Knochen, der im hellen Mondschein g espenstisch zu leuchten scheint.
Das wird höllisch wehtun. Aber habe ich eine andere Wahl?
Nachdem ich ein paar mal tief durchgeatmet und all meinen Mut zusammengenommen habe, strecke ich den Arm aus. Ganz langsam nähern sich meine Finger der gezackten Spitze des gebrochenen Knochens. Das Herz schlägt mir bis zum Hals, und in meinen Schläfen pocht mein Puls. Schweiß steht mir auf der Stirn.
Schließlich ist es so weit. Ich schlucke. Die bloße Berü hrung löst nichts aus, doch als ich den Knochen ins Fleisch zurück zu drücken versuche, explodiert der Schmerz, und ich brülle meine Höllenqualen in die Nacht hinaus.
Das gutturale Knurren, das in einigen Metern Entfernung hinter den Bäumen plötzlich ertönt, lässt mich abrupt ve rstummen.
Bitte, nicht auch das noch.
Habe ich mit meinem Gebrüll - und meinem Blut - ein Raubtier angelockt? Gibt es in den Wäldern von Niederösterreich überhaupt Raubtiere, die mir gefährlich werden können? Wölfe etwa? Oder gar Bären? Ich glaube nicht. Oder hoffe es.
Abermals vernehme ich das Knurren. Diesmal scheint es näher zu sein.
Die Augen vor Anstrengung zusammen gekniffen, suche ich die Baumansammlung mit meinen Blicken ab, durchforste die Schatten darin. Zunächst kann ich nichts ausmachen, doch dann schält sich eine Gestalt aus der Dunkelheit. Es ist kein Bär. Und auch kein Wolf. Die Umrisse gehören ohne jeden Zweifel zu einem Menschen.
Mir fällt ein Stein vom Herzen. Das muss der Kerl sein, der mich zum Einlenken g ezwungen hat, indem er plötzlich auf der Straße aufgetaucht ist. Er humpelt zwar, wie ich erkenne, scheint aber nicht ernsthaft verletzt zu sein.
»Gott sei Dank«, murmle ich erleichtert.
Er kommt direkt auf mich zu.
»Mein Bein ist gebrochen. Haben Sie ein Handy? Bitte ve rständigen Sie die Rettung.«
Statt einer Antwort bekomme ich bloß wieder dieses Knu rren zu hören. Fünf Meter vor mir bleibt er schließlich stehen. Mir fällt auf, dass er taumelt, wie ein angeschlagener Boxer. Immer noch schweigt er. Ein mulmiges Gefühl breitet sich in meiner Magengegend aus, und mein Überlebensinstinkt meldet sich wieder zu Wort. Irgendetwas stimmt nicht mit ihm.
Das Strahlen des Mondes, eben noch von einer einzelnen Wolke verdeckt, lässt mich einen genaueren Blick auf mein Gegenüber werfen. Was ich sehe, lässt mir das Blut in den Adern gefrieren.
Der Mann starrt mich aus leblosen Augen an. Er hat Schaum vor dem Mund. Wie ein tollwütiges Tier, fährt es mir durch den Kopf. Seine rechte Wange ist nicht mehr vorhanden; nur noch ein ausgefranster Lappen Fleisch ist davon übrig. Durch die Wunde sieht er aus, als würde er lächeln. Aber es ist ein bösartiges Lächeln, das
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