Dark Village - Das Böse vergisst nie
noch mal.
Warum sollte er ihr was vormachen? Musste er sich vor einem sieben Jahre alten Mädchen verstellen? Konnte er denn nie, nie, niemals einfach mal die Wahrheit sagen?
Er hustete in die Faust und fuhr sich mit den Fingern durchs halblange dunkle Haar. „Oder, doch. Vielleicht ein bisschen“, korrigierte er sich. „Es gibt da ein Mädchen, das ich … süß finde.“
Nein, nicht süß – hübsch, wunderbar!
Er dachte an Nora. An diesen Augenblick oben im ersten Stock. Diese eine Sekunde, als er es hätte tun können. Er hätte sich nur ein winziges bisschen vorbeugen müssen … um sie zu küssen.
Aber er hatte sich nicht getraut. Es war zu riskant gewesen. Der Preis viel zu hoch: Er konnte damit die Chance vertun, sie später noch einmal zu küssen. Er konnte seinen Traum zerstören, sie vielleicht doch eines Tages …
Ich war feige,
unterbrach er sich.
That’s it. Ich war einfach nur scheißfeige.
„Du solltest sie küssen“, sagte Eline.
Nick fuhr zusammen. Er guckte zu ihr rüber, in ihre großen blauen Kinderaugen.
Bist du in meinem Kopf, oder was?
„Das tun sie jedenfalls im Fernsehen, also, wenn sie verliebt sind. Dann küssen sie sich.“
„Aha.“
„Und dann sind sie ganz froh.“
„Wie schön.“ Er grinste sie an. „Schwups. Einfach so.“
Sie hörte den Sarkasmus in seiner Stimme nicht. Sie hätte es ohnehin nicht kapiert.
Sie ist sieben Jahre alt, Nicholas. Verkauf sie nicht für dumm.
„Das musst du auch tun“, sagte Eline. Sie lächelte mit offenem Blick. „Wenn du sie magst, musst du sie küssen.“
Nick stand von der Treppe auf. Er ging ein paar Schritte über den Hof und trat seine Zigarette im Kies aus. Es war warm. Das Haus lag auf einer kleinen kargen Anhöhe, ein ganzes Stück vom nächsten Nachbarn entfernt. Unterhalb verlief die Eisenbahnlinie.
Zum Zentrum brauchte man zehn Minuten. Nick überlegte, ob er eine Runde drehen sollte, um den neuen Ort ein bisschen besser kennenzulernen. Den neuen Ort. Immer wieder neue Orte. Neue Orte waren wirklich beschissen.
Hinter ihm fragte Eline: „Was hast du vor?“
Am schlimmsten ist, dass sie recht hat, dachte er. Ich muss den Hintern hochkriegen. Ich muss was tun. Ein einziges Mal nur muss ich es drauf ankommen lassen und was unternehmen. Und hoffen, dass es das Richtige ist.
3
„Hallo“, sagte Trine.
„Hi“, sagte Vilde.
Sie hatten sich am Stadtrand verabredet, da, wo der Feldweg in den Wald führte, und waren unabhängig voneinander hingefahren, damit niemand Verdacht schöpfte.
Trine traute sich nicht, ihre Freundin anzuschauen. Sie warf ihr nur hier und da einen Blick aus dem Augenwinkel zu. Vilde ertappte sie auf frischer Tat und lächelte – peng! – das breiteste Julia-Roberts-Lächeln. Ihre Augen blitzten und ihr Kinn schob sich ein bisschen vor. Und schon ging von ihrem Gesicht ein Zauber aus, der Trine den Atem raubte.
Sie hätte gerne etwas gesagt.
Das geht nicht gut. Wir kehren besser um. Du bist du und ich bin kilometerweit davon entfernt! Du bist so schön, so besonders. Ich bin nur Trine!
Aber sie brachte kein Wort über die Lippen. Wie sollte sie auch, wenn sie kaum Luft bekam?
Vilde, ich weiß nicht, was das ist. You take my breath away.
Wie beim ersten Mal verließen sie den Weg und liefen in den Wald hinein.
Die Bäume standen dicht, die beiden duckten sich unter Ästen durch und tauchten in die Schatten. Sie bewegten sich langsam durch die warme Luft, den trockenen Staub und schimmernde Spinnweben. Sie liefen dicht nebeneinanderher. Ab und zu stießen sie mit den Hüften zusammen. Sie redeten nicht. Jede horchte auf den Atem der anderen.
Dann passierte es. Vilde blieb mit dem Fuß an einer Baumwurzel hängen. Sie streckte die Hand aus und hielt sich an Trines Schulter fest, um nicht hinzufallen. Trine blieb stehen und stützte Vilde, die den Fuß hob und sich den Knöchel vorsichtig rieb.
„Tut es weh?“, fragte Trine.
„Ein bisschen.“ Vilde verzog das Gesicht. „Können wir kurz eine Pause machen?“
„Klar.“ Trine legte ihr einen Arm um die Taille. „Geht es so? Willst du dich vielleicht lieber hinsetzen?“
Vilde nickte. „Mmm.“
Ein paar Meter weiter stand ein großer Baumstumpf.
„Da rüber“, sagte Trine. „Da ist es bequemer.“ Sie umfasste Vildes Taille fester. Vilde legte ihr einen Arm über die Schulter und so humpelten sie stolpernd zum Baumstumpf. Vilde musste kichern.
„Ich dachte, du hättest Schmerzen“, sagte Trine gespielt streng, „und
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