Dark Village - Das Böse vergisst nie
löste ihr Haargummi und lockerte ihre Haare mit den Fingern, bis sie über die Schultern fielen. Sie hob das Kinn und versuchte, stolz und entschlossen auszusehen.
Wie oft hatte sie schon vor dem Spiegel posiert? Nackt. Manchmal war es gut, manchmal gefiel sie sich. Manchmal war es schön, sich zu sehen und die Finger auf der Haut zu spüren. Aber nicht heute. Und gestern Abend hatte sie den Jungen küssen wollen, in den sie verliebt war, er hatte sich jedoch umgedreht und war einfach abgehauen …
WARUM HAT ER MICH NICHT GEKÜSST?!
Irgendwas musste sie tun. Sie brauchte das Gefühl, verliebt zu sein. Und sie wollte hoffen, dass er sie auch liebte.
Dann entschied sie sich.
Nein. Natürlich schläft er nicht mit ihr. Ehrlich, er ist 16 oder 17 und sie ist … viel, viel älter. Zehn Jahre mindestens. Für alles gibt es eine logische Erklärung. Garantiert. Es muss eine Erklärung geben!
Nora versuchte, über sich selbst zu lachen.
Wie konnte ich nur so was glauben!
Es tat gut, das Bild von Nick wegzuschieben, der auf Synnøve Viksveen lag. Und Viksveen, die sich unter ihm wand und an seinem Hals stöhnte. Nick, der ihre großen Brüste hart an sich drückte. Und Viksveen, die …
Nein. Nicht mehr dran denken! Es kann nicht wahr sein. Es darf nicht …!
2
„Warum bist du traurig?“
„Traurig? Ich bin nicht traurig.“
„Aber du bist auch nicht glücklich.“
„Das ist nicht dasselbe.“ Nick zog an seiner Zigarette. „Man muss nicht gleich traurig sein, nur weil man nicht glücklich ist.“
Er und Eline saßen auf der Treppe vor dem Haus.
Sie war sieben Jahre alt und wirkte zart und zerbrechlich. Aber gleichzeitig war da etwas. Nick konnte es nicht genau benennen … etwas in ihrem Gesicht war anders. Und das war weder zart noch zerbrechlich.
Es war stark. Wolf im Schafspelz.
Seltsam …
„Bist du schon lange hier?“, fragte er und deutete mit dem Daumen zum Haus.
„Zwei Jahre, drei Monate und sechzehn Tage“, antwortete sie.
„Alle Achtung.“ Er lachte.
„Sie haben mich adoptiert“, sagte sie. „Erst war ich Pflegekind, so wie du, jetzt bin ich Adoptivkind.“
„Aha.“ Nick zog erneut an der Zigarette und blies langsam den Rauch aus.
„Ist das okay für dich?“
„Okay?“
„Ja, ist das gut?“
„Verglichen womit?“
Sie sah jünger aus als sieben, aber sie sprach und klang viel, viel älter. Irgendwie nüchtern. Und in ihrem Blick lag etwas Herausforderndes.
Nick war überrascht. „Tja. Ich weiß nicht.“
„Okay, im Vergleich mit der Wirklichkeit? Mit dem Leben von den anderen?“ Sie ließ nicht locker. „Oder im Vergleich mit dem Fernsehen? Oder wie es früher war, bevor ich adoptiert wurde? Oder wie ich es gerne hätte?“
„Ich meinte bloß … ob du gerne hier bist.“
„Du weißt doch, dass ich das nicht bin.“
„Wieso?“
„Du glaubst es wenigstens.“
„Ich glaube also, dass du nicht gerne hier bist?“
„Ja.“
Irritiert betrachtete er sie. „Was du nicht alles über mich weißt. Dass ich traurig bin. Dass ich glaube, es gefällt dir hier nicht.“
„Ja.“ Sie sah ihn direkt an, als wäre es kein bisschen merkwürdig, dass sie glaubte zu wissen, was in seinem Kopf vor sich ging. „Du musst deswegen nicht böse sein.“
Sie ist sieben Jahre alt,
dachte er.
Alter, jetzt bleib cool. Sie ist nur ein Kind. Ein besserwisserisches Kind.
„Ich bin nicht böse.“
„Warum tust du das dann?“ Sie zeigte auf seine rechte Hand, auf seinen Zeigefinger, mit dem er immer wieder auf die Zigarette tippte, obwohl die Asche längst runtergefallen war.
Nick hielt inne. Er steckte sich die Zigarette zwischen die Lippen und ließ sie dort so lange hängen, bis er ein paarmal inhaliert hatte und der Filter unangenehm heißgeraucht war.
„Bist du verliebt?“, fragte Eline.
„Also echt …“ Jetzt musste Nick lachen. „Du stellst Fragen!“
„So ist es immer im Fernsehen“, sagte sie. „Wenn die Mädchen sich verlieben, träumen sie die ganze Zeit nur von dem Jungen. Wenn Jungs sich verlieben, sind sie sauer und wütend.“
„Du glotzt zu viel.“
Sie hatte einen Fernseher in ihrem Zimmer. „Das ist das Schönste, das ich habe.“
„Was?“
„Der Fernseher.“
„Aha.“
Nick war schon aufgefallen, dass Eline sich oft in ihrem Zimmer verschanzte.
„Also, bist du’s oder bist du’s nicht?“, fragte sie.
„Was?“
„Verliebt.“
„Ob ich verliebt bin?“ Er lächelte und antwortete automatisch: „Nee.“ Dann überlegte er
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