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Dark Village - Niemand ist ohne Schuld

Dark Village - Niemand ist ohne Schuld

Titel: Dark Village - Niemand ist ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjetil Johnsen
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und ab. Vilde war groß und dunkelhaarig und versteckte, was Benedicte zur Schau trug. Aber unter der Oberfläche lag etwas Explosives und Unberechenbares. Sie fiel auf, selbst neben Benedicte stach sie hervor. Vilde war diejenige, die die Blicke auf sich zog.
    Nick merkte, dass er Vilde anstarrte. Schnell schaute er zu Nora. Zu dem Mädchen, das er liebte.
    Denn das tat er! Er ärgerte sich über sich selbst. Warum glotzte er bloß Vilde an!
    Er wartete auf die drei und achtete nur auf Nora.
    „Hast du was gefunden?“, fragte sie, als sie näher kamen.
    Er zuckte die Schultern.
    Sie ging zu ihm, legte ihm den Arm um die Taille und lächelte breit. Ihr dunkles Haar fiel auf den Rücken. Ihre Augen waren braun und groß und freundlich. Wenn er sie so ansah, glaubte er fast, dass sie die Sache mit Katie vielleicht doch verstehen würde …
    Und jetzt, wo er ihren Geruch und ihre Wärme spürte, merkte er, dass sie die Hübscheste von allen dreien war, viel hübscher noch als Vilde.
    So war es immer. Er entdeckte sie immer wieder aufs Neue, jedes Mal, wenn sie sich trafen. Sie berührte etwas in ihm, das sonst niemand erreichte. Und sie tat es so leicht und unbeschwert – das Strahlen ihres offenen Gesichts reichte bis in den kleinsten Winkel seiner Seele. Als würde sie jeden Gedanken, den er dachte, und jedes Gefühl, das er hatte, umarmen.
    Vielleicht wusste sie es ja längst? Vielleicht hatte sie die Geschichte mit Katie und seinem Vater und allem, was danach kam, längst gespürt?
    Aber er log sie an: „Nein. Sie hatten nichts.“
    Die Lüge kam ganz leicht und automatisch, er hatte nicht mal den Anflug eines schlechten Gewissens. Er hatte ja schon so viel gelogen.
    Gemeinsam liefen sie zurück zur Schule. Als sie durchs Tor gingen, klingelte es.
    Nora guckte Nick an und lachte: „Gerade noch rechtzeitig.“
    „Mmm.“
    Er versuchte zurückzulächeln. Aber es wurde nur ein gequältes Grinsen. Sein Gesicht war starr und kalt, es war widerspenstig, gehorchte ihm nicht, und er geriet ins Schwitzen, obwohl er fast fror. Er wischte sich mit dem Jackenärmel über die Stirn.
    Die Schulglocke schrillte ungewöhnlich laut. Er bekam Kopfschmerzen davon. Er schielte zu den anderen, um zu sehen, ob es sie auch störte, aber es machte nicht den Eindruck. Niemand außer ihm schien zu bemerken, dass das Klingeln immer lauter wurde, dass es den ganzen Körper vibrieren ließ und den Kopf in tausend Stücke zu sprengen drohte.
    „Was ist denn?“, fragte Nora.
    Sie stiegen die Treppe zum Haupteingang hinauf. Nick antwortete nicht, er war nicht mal sicher, ob sie was gesagt hatte. Aber dann hörte er Noras Stimme ganz deutlich: „Nick. Ist irgendwas? Hast du Kopfweh?“
    „Nein, nein. Es ist nichts.“
    Aber das stimmte nicht. Es war etwas. Denn plötzlich kam alles wieder hoch, ein Sog erfasste ihn und er hatte keine Chance. Oben auf der Treppe blieb er stehen. Wir müssen noch ein bisschen hierbleiben . Nora hielt ebenfalls an, den Arm immer noch um seine Taille geschlungen. An beiden Seiten strömten Schüler an ihnen vorbei.
    Nicholas, Nicholas.
    Wir müssen noch ein bisschen hierbleiben.
    Kalter Schweiß brach ihm aus, und er war sicher, dass Nora wieder etwas zu ihm sagte, aber er konnte die Worte nicht entschlüsseln. Ihre Stimme, die ganzen Geräusche, alles vermischte sich zu einem dicken Brei, wie ein zu schnell abgespieltes Tonband: ein einziges, unverständliches Gebrabbel.
    Das war’s , dachte er. Ich habe es nicht anders verdient, jetzt kriege ich, was ich schon lange verdient habe. Jetzt geht es mit mir den Bach runter.
    Die Fußballkarten in seiner Innentasche wogen zentnerschwer.

7
    Die Sonne im Nacken. Trockenes, verbranntes Gras. Helle, rieselnde Erde auf beiden Seiten des Sargs. Das Loch darunter ist dunkel und sieht trotz der Sommerwärme kalt aus.
    Vier Männer lassen den Sarg runter. Nicholas hat sie noch nie gesehen. Der Pfarrer spricht wieder, nicht lange, aber lange genug, dass es unter dem engen, steifen Hemd zu jucken anfängt. Es ist neu.
    Der Pfarrer schlägt die Bibel zu. Dann kommt er herüber und gibt Katie und Nicholas die Hand, obwohl er das schon zwei Mal getan hat. Er flüstert etwas, das Nicholas nicht versteht, und legt Katie seine bleiche Hand auf den Oberarm. Seine Finger sind gelb vom Nikotin.
    Katie zuckt zurück, ihre Beine bewegen sich unruhig.
    „Danke“, sagt sie.
    Sie sieht den Pfarrer nicht an, als sie sich bedankt, und Nicholas hört genau, dass sie es nicht so meint.

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