Dark Village - Niemand ist ohne Schuld
andere und begann zu rotieren. Nick schloss die Augen, plötzlich bekam er kaum noch Luft .
Nicht dran denken. Lass es nicht an dich ran. Leg die Karten weg und geh!
Aber er konnte sich nicht rühren. Ihm war schwindelig. Er musste sich am Regal neben ihm festhalten. Er schwankte und ein paar alte Comic-Hefte flatterten zu Boden. Der Mann hinter dem Tresen starrte ihn wieder an.
„Ist irgendwas? Bist du krank?“
„Nein, nein.“
Nick erkannte seine eigene Stimme nicht wieder, so rau war sie.
Nnnn … nnnn …
Es rotierte und rotierte in ihm.
Auf einem altmodischen Plattenspieler links vom Tresen hatte der Mann Musik aufgelegt. Echtes Vinyl. Ein Beatles-Klassiker, und John Lennons klare, kräftige Stimme sang: And now my life has changed in oh so many ways …
Nick lachte kurz auf. Es war ein überraschtes und resigniertes Lachen, während hinter seinen Augenlidern die Tränen brannten. Es war so lange her. So verdammt lange her! Und trotzdem tat es immer noch weh.
„Du bist doch wohl nicht stoned? Dann will ich dich nicht hier drin haben!“
„Nein“, flüsterte Nick. „Mir ist nur ein bisschen … heiß.“
„Vielleicht gehst du besser raus. Wenn du nichts kaufen willst.“
„Ja.“
„Willst du die Karten haben?“
„Nein.“
„Aha, nicht.“ Der Mann verschränkte die Arme vor der Brust und versuchte, streng auszusehen. Sein Hängebauch sprengte fast das Hemd. „Dann gehst du besser.“
„Ja“, flüsterte Nick.
Aber er blieb stehen, er zitterte und merkte, wie ihm der Schweiß die Brust hinunterlief. In ihm und um ihn herum löste sich die Welt auf, und er traute sich nicht, auch nur einen Schritt zu machen, denn er wusste, er würde fallen. Und er sah wieder den Schatten vor sich, erschreckend deutlich, nach all den Jahren.
Und die ganze Zeit dröhnte es in seinem Kopf.
Nnnn … nnnn ….
4
Er legt das Album auf den Küchenboden. Es soll in Sicherheit sein, falls irgendwas Schlimmes passiert. Dann steckt er den Kopf durch die Türöffnung und zieht ihn sofort wieder zurück.
Außer dem Holz des Türrahmens hat er nichts sehen können. Also muss er es noch mal wagen, vielleicht kann er erkennen, ob sich auf dem Fliesenboden etwas verbirgt.
Aber was, wenn dieses Etwas ihn ebenfalls entdeckt? Er schaut an sich runter. Seine Fäuste sind geballt, er hat Bauchschmerzen und alle Muskeln tun ihm weh. Seine Zehen wackeln in den Schuhen auf und ab, als trommelten sie auf den Boden.
Es gibt keine Monster , denkt er. Das weiß er ganz genau. Es gibt seltsame Geräusche und böse Menschen, aber Monster gibt es nicht.
Gibt es nicht! Gibt es nicht!
Trotzdem ist er überzeugt, dass im Wohnzimmer irgendwas ist. Etwas Großes und Schlimmes und sehr, sehr Schreckliches. Vielleicht ist es kein Monster, aber doch etwas, vor dem er sich fürchten sollte. Er kann es fühlen. Hier stimmt etwas nicht, alles ist irgendwie anders. Nicht nur dieses Geräusch. Abgesehen von dem seltsamen Knirschen ist es so unglaublich still, dass es einem wie Druck auf den Ohren vorkommt.
Und so ist es sonst nie.
Nn … nn …
Ganz leise jetzt. Kaum zu hören. Und der Schatten auf dem Boden ist einfach nur noch schwarz. Bewegungslos.
Sei mutig , denkt er. Sei wie Katie, tu, was sie getan hätte.
Er steckt noch einmal den Kopf durch die Tür, langsamer diesmal, bis er gerade einen Blick ins Wohnzimmer werfen kann, dann zuckt er zurück.
Was war das? Er ist sich nicht sicher.
Es war dunkel, vielleicht. Nicht der Schatten, sondern das, was den Schatten wirft. Es war finster und sehr groß.
Er wagt einen weiteren Blick. Ist schon mutiger geworden und hält den Kopf so lange ruhig, dass er ein paar Sekunden gucken kann, ehe er ihn wieder zurückzieht.
Hinter dem großen Dunklen ist das Wohnzimmerfenster. Die Sonne dringt durch die dünnen Vorhänge, hier und da fällt sie durch einen offenen Spalt. Staub tanzt in der Luft. Die Sonnenstrahlen verleihen dem großen Dunklen einen goldenen Umriss, fast als glühte es rundherum. Dadurch wird es im Inneren noch schwärzer.
Er kann nicht erkennen, was es eigentlich ist. Aber er hat das Gefühl, dass er es anfassen könnte, dass er es berühren könnte, als wäre es real, wie ein echter Mensch oder ein Tier.
Noch ein viertes Mal wagt er sich vor. Er blinzelt ins Gegenlicht. Es ist vollkommen still. Das seltsame Geräusch ist weg, der Schatten bewegt sich nicht mehr.
Vorsichtig macht er einen Schritt nach vorn und bleibt im Türrahmen stehen. Nichts passiert. Es ist
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