Darkover 04 - Der Untergang von Neskaya
Erinnerung an diese Gunst des Augenblicks… Ihre Gedanken umschmeichelten seine.
Als Coryn die Nadel in die Innentasche seiner Robe gleiten ließ, berührte er Stoff, der vom Alter mürbe war. Seit dem Tag, als er von Burg Verdanta nach Tramontana aufgebrochen war, hatte es nicht eine Stunde gegeben, in der er nicht das Taschentuch seiner Mutter bei sich getragen hätte. Nun zog er die gefaltete viereckige Stickerei heraus. Schweigend drückte er es ihr in die Hand.
Es war nicht nötig, ihr etwas zu erklären, ihr zu sagen, was ihm das Tuch bedeutete. Sie hielt schon sein Herz in Händen, so wie er ihres. Ihre Verbindung war nicht in Worte zu fassen.
Für einen langen Moment, eine Ewigkeit der Herzschläge, einen einzigen Atemzug, bewegten sich beide nicht.
»Lady Taniquel! Vai domna!« Eine Frauenstimme erklang in der Ferne. Das Kindermädchen.
Sie rührte sich, und der Moment zerbrach. Er blieb reglos sitzen, als sie ihre Röcke raffte und zur Burg zurückeilte.
27
Wolken, so dünn und fein, dass der Himmel den Eindruck erweckte, makellos weiß zu sein, legten einen hauchdünnen Schleier vor die aufgehende Blutige Sonne. Der Morgennebel hob sich von den Feldern Drycreeks, obwohl die umgebenden Höhen weiter in Weiß gehüllt blieben. Als die Kälte der Nacht floh, nahm die sanfte Brise die vermischten Gerüche der Gräser, der sommerlichen Feldblumen und der warmen Erde auf. Ein Falke schwebte hoch oben, während Mäuse in ihre Löcher huschten. In der Ferne sprang eine Anzahl Rehe in die Sicherheit der bewaldeten Hänge.
Belisar Deslucido saß auf seinem massigen rotgoldenen Hengst und wartete auf einem Hügel, dem höchsten Punkt des Tals, dass die Schlacht sich unter ihm entfaltete. Als das Pferd nervös auf der Stelle trat, gähnte er und rieb sich den Wein der letzten Nacht aus den Augen.
Die Streitkräfte von Ambervale waren am Abend zuvor erst spät eingetroffen und hatten nicht einmal genug Zeit gehabt, die Ochsen zu schlachten und zu grillen, die sie aus der kleinen Handelsstadt am Fluss geraubt hatten. Die Guerillakräfte, die in letzter Zeit aus den Verdanta-Bergen herabkamen und wie Skorpionameisen einfach ohne Vorwarnung zuschlugen und plünderten, hatten sie aufgehalten. Im Gegensatz zu den giftigen Insekten stellten sie zwar keine ernsthafte Gefahr dar, jedenfalls nicht für disziplinierte Truppen, aber sie hatten sein Vorankommen verlangsamt.
In Vorbereitung auf den Feldzug hatte Damian Deslucido sein Hauptquartier nach Acosta verlegt und von dort aus den Angriff geführt. Belisar hätte, als die Schlacht einsetzte, schon viel tiefer ins Hastur-Gebiet eingedrungen sein sollen, damit er selbst bei einem Patt noch viele Meilen Grenzland gewänne. Sein General, der Gelbe Wolf, hatte darauf bestanden, dass es besser sei, sich den Armeen von Hastur hier an den Ausläufern der Berge zu stellen statt auf den Ebenen, wo sich ihre größere Zahl und die einfacheren Nachschubwege zu ihrem Vorteil auswirken mussten.
Nun war der Wolf zu seiner Armee hinabgeritten, hatte sich dem linken Flügel genähert und hinter dem Zentrum einige Männer in Reserve gehalten. Die natürliche Formgebung des Landes hatte ihnen teilweise Deckung gegeben, obwohl sie sich noch nicht in der besten Position befanden. Der Tag und der Feind waren zu früh über sie gekommen.
Aber Änderungen der Pläne und Zeiten waren lediglich Details, abhängig von den jeweiligen Umständen. Er würde schon deshalb siegen, weil seine Sache gerecht war. In den letzten paar Jahren hatte das Ziel der Einigung Darkovers ein Eigenleben angenommen und sich verselbstständigt wie eine rohe Naturgewalt.
Belisar fühlte sich ruhelos, aber vielleicht war es nur sein Unmut darüber, hier oben zu sein, in sicherer Entfernung, statt seine eigenen Leute anzuführen, wie es sein Wunsch gewesen war.
»Mit der Macht kommt auch Verantwortung«, hatte Damian ihm gesagt. »Ein König darf nicht wie ein gemeiner Soldat sein Leben aufs Spiel setzen.«
»Ich bin noch nicht König«, hatte Belisar erwidert.
»Und wenn du in der Schlacht umkommst, wirst du nie einer werden!« Damit war alles gesagt gewesen.
Rumail saß in seinem grauen Kapuzenmantel, der jetzt seine gewohnte Kleidung war, ein wenig abseits von Belisar auf seinem Muli und sprach gesenkten Hauptes mit den beiden Laranzuin aus Tramontana. Er war schon den ganzen Morgen über beunruhigt.
Aus den vordersten Schwaden des tief hängenden Nebels näherten sich die Einheiten der Hastur-Kämpfer,
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