Darkover 04 - Der Untergang von Neskaya
Tür schlüpfte ein Mann, der mit einem Arm ein Kleinkind mit hochrotem Gesicht fest an sich presste, während die andere einen Dolch umklammerte. Das Kind zappelte so sehr, dass die Spitze sich jederzeit in seinen Hals bohren konnte.
»Setz den Jungen ab«, sagte Margarida mit leiser Stimme. »Ich gehe freiwillig mit.«
»Weg mit dem Messer.«
Margarida legte die Klinge zu Boden und stieß sie mit dem Fuß zur Seite. Sie hielt die Hände von ihrem Körper weg und ging langsam auf Lotrell zu. Als Margarida nur noch einen Schritt entfernt war, ließ er den Jungen herunter, packte ihren Arm und riss sie zu sich heran, hielt ihr den Dolch an die Kehle. Das Kind krabbelte davon. Seine Mutter stürmte vor und nahm es in die Arme. Ohne einen Blick zurück eilte sie davon. Niemand sonst rührte sich, obwohl Margarida sich nicht im Geringsten gewehrt hatte, hielt Lotrell sie brutal fest. Er wechselte den Griff, und Blut floss.
Der Bogenschütze neben der Waffenkammer wollte schon die Sehne spannen, doch Coryn winkte ihn zurück.
»Wo bleibt das Pferd?«, grollte Lotrell.
Ein Diener kam herbei und führte ein gesatteltes Pferd bei sich.
Coryn kannte das Tier nicht. Es war nicht annähernd so gut wie der Hengst seines Vaters oder die schwarze Armida-Stute, die man ihm geschenkt hatte, machte jedoch einen passablen Eindruck. Lotrell ließ das Pferd neben den Block führen, den der Coridom vor so vielen Jahren für Tessa hatte anfertigen lassen, damit sie besser aufsteigen konnte. Er befahl Margarida, das Pferd zu besteigen. Dann nahm er hinter ihr Platz. Sein Gesicht war grau geworden, seine Lippen dunkel. Die Hand, die den Dolch hielt, zitterte sichtlich.
Ein Mann kam mit zwei zusammengebundenen Säcken aus der Küche gelaufen und platzierte sie hinter dem Sattel. Es war einer der Attentäter-Brüder, der darauf setzte, dass Lotrell nicht erkannte, dass er gar nicht zur Burg gehörte. In Coryns Augen konnte sein Schlendergang weder das Ausmaß an Selbstbeherrschung noch den Gleichgewichtssinn des erfahrenen Kämpfers verbergen.
Schnaubend riss Lotrell an den Zügeln und führte das Pferd herum. »Keiner rührt sich vom Fleck, sonst stirbt sie!«
Blut floss in einem roten Rinnsal an Margaridas Hals hinab. Sie zeigte keine Spur von Schmerz oder Furcht, wartete einfach nur ab.
Wartete ab…
Auf Lotrells Geheiß übergab Rafaels Gefolgsmann die Säcke einer der Frauen. Furchtsam näherte sie sich dem Pferd, das unbehaglich mit dem Schweif peitschte und auf seiner schweren Kandare kaute. Lotrell bewegte sich unruhig im Sattel und griff nach den Säcken. Das Pferd tänzelte unter ihm, und die Frau schrak zurück, kam dann wieder einen Schritt näher und hielt ihre Last so, dass sie stets den größtmöglichen Abstand zwischen sich und dem nervös stampfenden Tier einnahm.
Coryn konnte die Woge des Triumphs sogar durch Margaridas dichte Laran-Barrieren hindurch spüren.
Mit einer raschen Bewegung wand sie sich in Lotrells Griff. Sie rammte die Schultern hoch und brachte so etwas Spielraum zwischen sich und die Dolchspitze. Damit brachte sie ihn aus dem Gleichgewicht. Noch bevor sie zu Boden stürzten, schlossen ihre Finger sich um den Knauf.
Zwei miteinander verschlungene Körper prallten aufs bloße Erdreich. Lotrell war einen Moment lang über ihr, bevor sie sich in wilder Umklammerung wälzten. Coryn und der Attentäter-Bruder sprangen herbei.
Der Kampf endete jäh. Lotrell lag quer über Margarida. Einen schrecklichen Augenblick lang bewegte sich keiner von beiden.
Blut, hell und schaumig, breitete sich unter den Körpern aus. Die Frau, die die Säcke mit Lebensmitteln getragen hatte, schrie auf.
Dann glitt Lotrell seitlich von ihr herunter und blieb reglos liegen.
Mit rotem Gesicht und nach Atem ringend kroch Margarida unter ihm hervor. Sie wehrte die hilfreich ausgestreckten Hände ab und rappelte sich aus eigenen Kräften auf. Ihre Bluse war mit Blut getränkt, doch Coryn wusste, dass nur wenig davon das ihre war. Als sie an ihm vorbeihinkte, begegnete er kurz ihrem Blick und verstand nicht, was er in ihren Augen sah. Sie hatte ihre Barrieren wieder hochgefahren.
Chiya, was ist dir widerfahren?
Wie als Antwort auf diese Frage blieb sie stehen, und ihre Schultern sackten nach unten. »Es ist vorbei«, murmelte sie.
»Nun bin ich endlich frei.«
Er sah sie gehen, und es wollte ihm schier das Herz zerreißen vor Schmerz. Er hatte seine Schwester gefunden und wieder verloren.
32
Gleich bei Tagesanbruch
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