Darkover 04 - Der Untergang von Neskaya
und ein halb erwachsener Knabe, kauerten in der Ecke gegenüber.
Nein, das war nicht sein Vater. Es war Eddard.
Eddard, vor der Zeit gealtert, von einem kräftigen, energischen jungen Mann zu einem Gespenst verkommen. Eine ausgemergelte Hand streckte sich nach ihm aus, zitternd.
»Sprich! Wenn du auch nur einen Funken Barmherzigkeit in dir hast, sprich!« Augen lagen in ihren Höhlen wie Zwillingskugeln aus fahlem Marmor, ohne die Spur einer Pupille oder Iris.
Grundgütige Avarra! Kein Wunder, dass Deslucido ihn am Leben gelassen hat! Mitleid überkam Coryn, Mitleid für die Schande seines Bruders.
»Eddard«, sagte Coryn leise. Er berührte die Knochenfinger, hielt sie fest in seiner Hand. »Ich bin’s, Coryn.«
»Coryn? O nein, er ist in Sicherheit, weit weg von hier… Coryn?« Eddard wandte den Kopf ab, doch Coryn hatte das Schimmern von Tränen gesehen.
»Sir«, sagte einer der Brüder. Der andere war verschwunden, um den Rest der Suite zu überprüfen, und kehrte gerade zurück.
»Wir können hier nicht bleiben, nicht, solange die Burg noch nicht fest in unserer Hand ist.«
»Einen Moment«, sagte Coryn. »Eddard… « Rasch umriss er die Lage. »Das Volk wird einen Leynier benötigen, der es führt, der ihm sagt, dass Verdanta frei ist.«
Eddard hob die Arme, die selbst durch die Falten des Nachthemds hindurch abgemagert wirkten.
Coryn packte ihn an der Schulter. »Ich komme zurück, sobald wir die Burg und das Anwesen gesichert haben.« Petros Mann bedeutete ihm, dass er bei Eddard bleiben würde. Coryn machte kehrt, um den Brüdern zu folgen.
»Warte!« schrie Eddard auf. »Mein Weib und mein Sohn! Mein Adrian! Sie stehen unter Aufsicht… Lotrell - Damians Kerkermeister - er hat den Befehl erteilt, sie zu töten… «
»Wo sind sie?«
»Im Gesindetrakt… wenn er sie nicht verlegt hat.«
Der Gesindetrakt lag am anderen Ende der östlichen Halle. Dieser Bereich befand sich weit abseits derer, die sie säubern mussten, um die Burg zu sichern. »Macht weiter!« sagte er zu Rafaels Männern. Und dann, an Eddard gewandt: »Ich werde sie finden!«
Er eilte durch den Korridor in Richtung Ostflügel. Margarida tauchte wie ein Schatten in der Gabelung auf. Sie hielt ein Messer, so lang wie ihr Unterarm, nach oben gerichtet, als wüsste sie es zu gebrauchen. Mit federnden Knien, den Körper abgewandt, um möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten, glitt sie auf ihn zu, immer an der Wand entlang. Als sie ihn sah, senkte sie die Spitze der Waffe.
»Eddard?«, fragte sie.
»Er lebt noch, aber wir müssen seine Frau und sein Kind finden, bevor sie als Geiseln missbraucht oder gleich getötet werden.«
»Lotrell.« Ihre Stimme war rau und schroff. Sie hasst ihn und verbirgt ihre Furcht. Etwas war ihr widerfahren - die Laran-Abschirmung, der verkniffene Mund, die steinern blickenden Augen.
Margarida hob das Kinn. »Nicht nötig zu suchen. Ich weiß, wo er ist. Bevor wir die Waffenkammern sichern konnten, schlich Lotrell sich hinein, einen Sack über der Schulter. Er könnte leicht ein Kind enthalten haben. Er verbarrikadierte sich, bevor wir ihn erledigen konnten. Nun ja, es gibt für ihn keinen Ausweg. Wir können nicht hinein, aber er kann auch nicht heraus.«
Ohne weitere Worte verlieren zu müssen, gingen sie gemeinsam durch den Korridor und dann die breite Treppe hinab. Margaridas Schritte waren so ausgreifend und kräftig wie die eines Mannes. Coryn ermahnte sich, dass sie unter Männern im Wald gelebt und gekämpft hatte.
Die Waffenkammer war ein länglicher Anbau mit Steinwänden entlang der Burg, eher eine Hütte als eine Festung. Sie wurde nicht nur für die Lagerung von Waffen benutzt, sondern auch zur Aufbewahrung von Hacken und Schaufeln, die benötigt wurden, um Brände zu bekämpfen, sowie von Ausrüstung für den Umgang mit Vieh und Strohballen für Übungen im Bogenschießen. Schmale Fenster ohne Glas ließen Licht ein, hielten jedoch die schlimmste Witterung fern. Die Innentür war verbarrikadiert worden, so dass der Zutritt einzig durch die Außentür gegenüber den Ställen möglich war.
Eine Hand voll Burggesinde hatte sich in einiger Entfernung von der Tür versammelt. Manche trugen provisorische Waffen, eine alte Frau hielt einen Besen in Händen. Es konnte kein Zweifel bestehen, dass Lotrell eine Geisel hatte. Die entsetzten Schreie eines Kindes drangen aus der Waffenkammer. Einer von Petros Bogenschützen stand auf einer behelfsmäßigen Plattform aus Fässern und Planken,
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