Darkover 04 - Der Untergang von Neskaya
Gesicht ihres Onkels, in das sich die Falten noch tiefer eingegraben hatten, wie eine von Schluchten durchzogene Landschaft. Rafael schenkte die beiden Becher voll, reichte dann die Flasche mit dem restlichen Wein Gerolamo und bedeutete ihm mit einem Nicken, sich fortzumachen und damit zu vergnügen.
Dann leerte er seinen Becher in einem Zug und nahm ebenfalls Platz. Seine dunklen Augen glühten.
»Was für ein Tag«, sagte er mit vor Erschöpfung heiserer Stimme. »Am liebsten würde ich mir jetzt einfach den Bauch voll schlagen und mich ordentlich betrinken.« Er griff nach einem Brotkanten. »Aber ich fürchte, damit wärst du nicht einverstanden.«
»Ich bin nicht deine Hüterin«, erwiderte sie und musste unwillkürlich schmunzeln. »Und wenn du es nicht verdient hast, wer dann?«
Rafael deutete auf den gedeckten Tisch. »Teil mein Mahl mit mir, und danach lass uns reden.«
Sie aßen schweigend. Das Essen war zwar besser als die Verpflegung der einfachen Soldaten, schmeckte aber trotzdem pappig und nichts sagend. Als sie fertig waren, lehnte Rafael sich zurück und strich sich den Bart. »Nun - wo drückt dich der Schuh? Ohne triftigen Grund würdest du nicht so wohlerzogen auf deinem Stuhl sitzen.«
Taniquel erwiderte seinen Blick freimütig. »Es geht um Damian Deslucido und seinen Sohn.«
»Ich habe sie in Ketten legen lassen. Keiner von beiden wird heute Nacht entfliehen.«
»Außer in Zandrus kälteste Hölle.«
»Beim Herrn des Lichts, Weib!« brauste er so lautstark auf, dass die beiden bewaffneten Wachen sich umdrehten, um zu sehen, was los war. »Was soll ich deiner Meinung nach tun - sie einfach köpfen lassen und Schluss? Ohne gerechtes Verfahren?«
»Wofür sollte so ein Verfahren gut sein?«, fuhr sie fort, obwohl sie sich dafür selbst verabscheute. »Damit würden wir ihnen höchstens noch eine kleine Chance auf Flucht oder Rettung verschaffen. Onkel… «, sie beugte sich vor und wollte ihm zur Bekräftigung die Hand auf den Arm legen, bremste sich aber. »Das können wir nicht riskieren. Wenn wir die Skorpionameisen nur in den Griff bekommen, indem wir das ganze Nest vernichten, dürfen wir nicht zögern. Deslucido und sein Sohn sind in unserer Gewalt. Wir müssen zu Ende bringen, was wir angefangen haben. Eine solche Gelegenheit bekommen wir kein zweites Mal.«
Rafael seufzte schwer. Taniquel spürte deutlich, wie sehr ihr Onkel sich danach sehnte, diese ganze blutrünstige Angelegenheit endlich abzuschließen. Er war seelisch und körperlich am Ende, hatte genug von dem Gemetzel und der zermürbenden Anspannung auf dem Schlachtfeld. Genug von dem unaufhörlichen Kampf, etwas Wertvolles zusammenhalten zu wollen, während das Land überall sonst durch zahllose Kriege zersplittert und gespalten wurde. Mitleid überkam sie, und sie wünschte, es gäbe einen anderen Weg.
Ich kann ihm seine Bürde nicht tragen helfen, ohne meine eigene Aufgabe zu vernachlässigen.
Rafael straffte die Schultern. »Vielleicht hast du ja Recht, und wir sollten handeln, bevor die von der Schlacht erhitzten Gemüter sich beruhigt haben. Wahrscheinlich würden unsere Leute eine rasche Hinrichtung als natürliche Folge des Sieges akzeptieren. Deslucido hat viel gewagt - und verloren. Das ist nun mal der Lauf der Welt.«
Als ihre Blicke sich wieder trafen, funkelte ein Licht in seinen Augen. An seinen Schläfen konnte Taniquel sehen, dass er die Kiefernmuskeln anspannte. Er rief seinen Adjutanten zu sich und wies ihn an, Deslucido und seinen Sohn vorführen zu lassen.
»Aber zuerst«, wehrte Rafael Taniquels Protest ab, »will ich hören, was Deslucido selbst dazu zu sagen hat.«
»Deslucido ist nicht vertrauenswürdig«, rief sie aus. »Du weißt selbst, dass er alles schwören würde, was ihm zum Vorteil gereicht.«
»Ich will die beiden erst anhören.« Die Stimme ihres Onkels wurde tiefer und seine Haltung noch aufrechter. »Deslucido hat die Probe aufs Exempel nicht bestanden und sich für das Dasein als Tyrann entschieden, aber wir müssen nicht Gleiches mit Gleichem vergelten. Verstehst du? Es genügt nicht, ihn mit Waffengewalt oder militärischer Strategie in die Knie zu zwingen. Wenn wir uns jetzt von unseren Gefühlen überwältigen lassen und ohne Rücksicht auf die Gesetze handeln, sind wir nicht besser als er.«
»Aber er hat gelogen.«
Mit einer unwirschen Handbewegung schnitt Rafael ihr das Wort ab. Taniquel begriff, dass er zwischen seinen eigenen Grundsätzen und der unzweifelhaften
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