Darkover 04 - Der Untergang von Neskaya
und auch vor Lügengeschichten über Höherstehende nicht zurückschrecken.«
Er dämpfte die Stimme zu einem schmeichelnden Schnurren.
»Ihr seid ein scharfsinniger, erfahrener Mann, Rafael. Ihr müsstet Eure Nichte doch inzwischen durchschaut haben. Gewiss werdet Ihr ihren Beschuldigungen nicht mehr glauben als dem Wort eines Königs, wie Ihr selbst einer seid! Ich schwöre bei allem, was Euch heilig ist. Alles, was sie Euch über mich erzählt hat, ist erfunden!«
Taniquel musste an sich halten, um nicht zu widersprechen.
Rafael ließ ihn einfach reden und sein scheinbar so überzeugendes Lügennetz immer dichter weben. Ihr fiel wieder ein, wie Deslucido den Comyn-Rat mit seinen honigsüßen Worten eingelullt hatte. Noch fünf Minuten, dachte sie, und er hat alle, meinen Onkel inbegriffen, davon überzeugt, dass er ein Ehrenmann mit den allerbesten Absichten ist.
»Könnt Ihr mir erklären, Deslucido«, entgegnete Rafael in so aufreizend gelassenem Tonfall wie zuvor, »warum ich Eurem Schwur glauben sollte, sei er nun unter einem Wahrheitsbann abgelegt oder nicht? Woher soll ich wissen, dass Euer Ehrenwort etwas gilt?«
»Weil wir beide Männer von Welt sind«, fuhr Deslucido mit einer Stimme wie sanfter goldener Donner fort. »Wir wissen, wie es auf der Welt zugeht und immer zugehen wird. Eine Frau sieht nicht über den Rand ihres Kochtopfs hinaus. Wir dagegen… wir beide haben eine Vision, was aus Darkover werden könnte - eine Welt, in der Einigkeit und Frieden herrschen.«
»Das, war Ihr Frieden nennt«, gab Rafael zurück. »Doch für jeden, der es wagen würde, anderer Meinung zu sein als Ihr, bedeutet es den erzwungenen Frieden der Sklaverei. Den Frieden des Grabes.«
»Ihr versteht mich völlig falsch. Ich habe stets nur das Beste für unser Volk gewollt. Ich verspreche Euch… « Taniquels Nerven waren zum Zerreißen gespannt durch den Angriff mit Laran-Waffen, ihren Aufenthalt in der Überwelt, die erschöpfende Schlacht und diesen einen markerschütternden Schrei - Coryns Schrei. Wenn Deslucido auch nur noch eine einzige falsche Versprechung machte, würde sie ihm eigenhändig den Hals umdrehen.
»Genug!« Es war der gleiche Tonfall, mit dem sie Rafael und Gerolamo aus der Verwirrung gerissen hatte, die Tramontana verbreitet hatte. »Wir könnten die ganze Nacht diskutieren und kämen der Wahrheit doch kein Stückchen näher.« Sie trat vor Deslucido hin, hielt jedoch zu ihm so weit Abstand, dass er sich nicht plötzlich auf sie stürzen konnte. Es war so nahe, dass sie im Fackelschein seine Augen sehen konnte.
»Ihr«, anklagend streckte sie die Hand nach ihm aus, »habt mich davon abgehalten, bei Padrik geziemend Totenwache zu halten. Ihr habt mich mit einem Schwall von Vorwänden abgewimmelt… «
»Falls ich Euch versehentlich gekränkt habe… «, setzte Deslucido an. Offenbar glaubte er, ihre verletzten weiblichen Gefühle seien der Grund für diesen Ausbruch.
Taniquel schnitt ihm das Wort ab. »Die Kränkung besteht darin, dass Ihr dem Comyn-Rat weisgemacht habt, Ihr hättet mir die Erlaubnis zur Totenwache erteilt.« Sie machte eine effektvolle Pause. »Und zwar unter dem Wahrheitsbann.«
Einen Moment lang war es ganz still. Von draußen waren die üblichen Geräusche eines Soldatenlagers zu hören, das Wiehern der angebundenen Pferde, Bruchstücke einer alten, Ballade, die Gespräche der Männer.
Deslucido klappte den Mund wieder zu. Man merkte ihm an, dass er nur mühsam die Fassung bewahrte. Rafaels Blick wanderte von den Gefangenen zu seiner Nichte und wieder zurück. Doch seine Miene war undurchdringlich.
»Ich bitte tausendmal um Vergebung für den Kummer, den Euch dieses dumme Missverständnis verursacht hat, Mylady«, sagte Deslucido. »Lasst mich erklären, wie es sich wirklich zutrug… «
»Versucht es erst gar nicht!« Taniquel wirbelte zu Belisar herum, der erbleichte, als sie sich der Trage näherte. »Erzählt ihnen, was Ihr mir erzählt habt - dass Eure Familie die Fähigkeit besitzt, unter dem Wahrheitsbann zu lügen. Wie habt Ihr es genannt? Die Gabe der Deslucidos? Ihr besitzt sie genauso wie Euer Vater… «
»Nein! Nein!«, rief Deslucido. »Das ist alles ein Irrtum!«
»Gib auf, Vater«, erklang eine Stimme von der Trage. Belisar versuchte den Kopf zu heben, seine Züge von Abscheu entstellt.
»Es hat keinen Zweck mehr, begreifst du das nicht? Sie wissen Bescheid!«
»Halt den Mund, du Narr!« Deslucido drehte sich zu Belisar um, so schnell es seine
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