Darkover 04 - Der Untergang von Neskaya
»Siehst du, wie leicht der Ruf eines Mannes mit wenigen Worten beschädigt werden kann? Während wir hier sitzen, ist dieser Laranzu, wer immer er auch ist, innerhalb eines Herzschlags von einem untadeligen Fremden zu einem Dämon geworden, der die Absicht hat, mit Hilfe seiner Laran-Fähigkeiten einen Unschuldigen zu ermorden.«
»Wir wissen nicht einmal, ob es überhaupt eine Matrix-Falle gab«, ergänzte einer der jüngeren Männer.
»Und selbst wenn es sie gäbe«, fuhr Marcos hartnäckig fort, »was, wenn dieser Mann sie gar nicht erschaffen hat, sondern ein anderer?«
»Was, du nimmst ihn in Schutz?«, sagte Cathal.
Coryn sog angesichts der Dreistigkeit des Vorwurfs den Atem ein. Sicher, Marcos war mit seinen Fähigkeiten nicht sehr weit gekommen, aber er war der Älteste von denen, die hier am Tisch saßen. Arans Frotzelei vorhin, mit einer gewissen Humorigkeit vorgebracht, hatte Coryn noch entschuldigen können, aber Cathal war jetzt bewusst beleidigend gewesen.
»Cathal… «, begann er.
»Ich kenne diesen Nedestro Deslucido nicht«, unterbrach Marcos ihn, »und ich habe mir auch noch keine Meinung hinsichtlich seiner Schuld oder Unschuld gebildet. Aber ich gründe mein Urteil nicht auf das Geplapper von Kindern, die vom Feiertagsale betrunken sind.«
Eines der Mädchen an Lianes Tisch keuchte auf.
»Wie kannst du es wagen, so über mich zu sprechen!« Cathal lief dunkelrot an und stieß sich vom Tisch zurück. Seine Bank scharrte über den Steinboden. Seine Hände ballten sich zu Fäusten.
»Hört auf, ihr beiden!«, rief Coryn. »Wenn ihr euch hören könntet! Seht ihr nicht, was das aus uns macht?«
Auf der anderen Seite erhob sich Kieran ohne ein Geräusch seiner langen Bewahrergewänder. Im Nu herrschte im ganzen Raum Schweigen.
Kierans helle Stimme, so gelassen sie auch war, klang wie eine Glocke durch die Halle. »Schluss mit den Gerüchten! Rumail, Damian Deslucidos Nedestro-Bruder, wurde tatsächlich aus dem Turm von Neskaya entlassen.«
Coryns Herz setzte aus. Kieran war immer sehr eigen mit seiner Wortwahl. Entlassen, hatte er gesagt, nicht beurlaubt oder freigestellt.
»Aber… «, platzte Cathals junger Freund heraus, »aber was ist denn geschehen? Stimmt die Geschichte über die Matrix-Falle?«
»Es schickt sich nicht, sich über das Unglück anderer auszulassen«, sagte Kieran so ernst, wie Coryn ihn bisher selten erlebt hatte. »Rumail wurde von seinem eigenen Bewahrer einer Befragung unterzogen, und entsprechende Maßnahmen wurden ergriffen. Wer von euch behauptet, in dieser Angelegenheit etwas zu wissen, was selbst Neskaya verborgen blieb? Wer von euch schlägt jetzt vor, der Hüter seines Gewissens zu werden?«
Cathal, der noch immer stand, ließ den Kopf hängen. Coryn sah ein Glitzern wie von Nässe im schattigen Gesicht des anderen Jungen. »Für die Gerüchte bin ich verantwortlich, Kieran. Ich habe die Geschichte gestern Nacht über die Relais vernommen. Statt sie für mich zu behalten oder sie Euch privat zur Kenntnis zu bringen, habe ich… « Er lief noch dunkler an und fand keine Worte mehr.
»Es ist nicht erforderlich, auch nur ein weiteres Wort darüber zu verlieren«, sagte Kieran. »Es wird keine Diskussion mehr darüber geben.«
Cathal sank auf seine Bank. Nach einem hässlichen Augenblick des Schweigens griff Aran von seinem Platz am Nebentisch zu ihm hinüber und tippte ihm leicht auf den Rücken. Die Atmosphäre entspannte sich unter dieser Geste spontaner Großzügigkeit. Eines der Mädchen an Lianes Tisch begann mit einer weiteren Geschichte über Durramans Esel.
Ein berauschendes Gefühl der Erleichterung stieg in Coryn auf.
Rumail war fort von Neskaya, fort von den Türmen! Unter solchen Umständen - regelrecht hinausgeworfen worden zu sein - würde kein anderer Turm ihn mehr aufnehmen. Coryn brauchte sich keine Sorgen mehr zu machen, dass der eine oder andere von ihnen zu einem Turm geschickt werden könnte, in dem Rumail sich aufhielt. Ihm war so schwindlig, als hätte er einen ganzen Krug würziges Ale getrunken. Der Turm war sein wahres Zuhause, und endlich war er frei.
9
Im Laufe des Sommers setzte sich die Routine des Arbeitens und Lernens durch. Die Aufregung über Rumail von Neskaya legte sich, und an ihre Stelle traten Gerüchte über Bettinas bevorstehende Abreise und Vermählung. Am ersten frostigen Herbstmorgen traf eine Eskorte ihres Vaters ein. In einen Umhang aus glänzend weißer, mit goldenen Fäden durchwirkter Lammwolle
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