Darkover 06 - Die Flamme von Hali
dich beurteilt, und er ist mit dir zufrieden.«
»Du redest mein Verbrechen klein, nennst es einen ›Fehltritt‹. Dabei hätte ich es fast wiederholt.«
Sie verließ die Helligkeit des Fensters und zog sich ins Zimmer zurück. So früh am Tag drang das einzige natürliche Licht durch die geöffneten Läden. Es gab viel zu wenig Kerzenwachs und Laran , um es zur Beleuchtung von Räumen und an Menschen zu vergeuden, die nicht arbeiteten.
Varzil versuchte, sie aufzuheitern, dachte sie, die Schuldgefühle zu lindern, die wie ferner Donner durch ihre Gedanken rollten. Er war so gut, so aufrichtig und liebevoll, dass er die Unzulänglichkeiten in anderen nicht sah. Nichts, was er sagte, konnte die Erinnerung an die Todesgedanken auslöschen, an die Herzen und Seelen, die durch ihr Ungestüm vernichtet worden waren.
Meine Taten werden mich nie mehr loslassen .
»Jetzt bist du doch halsstarrig und schwach«, sagte er ein wenig vorwurfsvoll.
Gekränkt wandte Dyannis sich ab. Etwas in Varzils Stimme, vielleicht auch nur ein Trick des Lichts oder ein Anflug von Laran -Macht, ließ ihn größer erscheinen. Er war nicht länger nur ihr großer Bruder, sondern der mächtigste Bewahrer auf Darkover.
»Wenn du wirklich Wiedergutmachung leisten willst«, fuhr er fort, »betrachte deine gegenwärtigen Taten. Die Vergangenheit liegt hinter uns, und nichts, was du tun kannst, vermag daran etwas zu ändern; die Zukunft aber kennt niemand. Wenn du dich wirklich jenen verpflichtet fühlst, die du verletzt hast, steht es dir nicht zu, dich mit eitlen Selbstbezichtigungen zu lähmen. Deine Talente gehören nicht dir allein, sondern den Menschen, denen du dienst. Du sagst, du nimmst die Verantwortung auf dich, aber wenn es darum geht, dieser Verpflichtung gerecht zu werden, benimmst du dich wie ein verwöhntes Balg!«
Die Hitze schoss ihr in die Wangen; zuletzt hatte sie sich so gefühlt, als sie wegen ihrer ersten Liebesaffäre aneinander geraten waren. Damals hatte sie geglaubt, Varzil sei schulmeisterlich, herrisch und anmaßend. Er hatte kein Recht, sich gegen ihre Wünsche zu wenden. Sie hatte getan, was sie wollte, war ihrem Herzen gefolgt, aber jetzt war er nicht nur ihr Bruder, sondern der Bewahrer des Cedestri-Turms und deshalb einstweilen auch ihr Bewahrer. Er hatte jedes Recht der Welt, ihr Vorwürfe zu machen.
Dyannis wollte auf ihn eindreschen, zurückbrüllen, dass er sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern solle, aber damit würde sie nur die Richtigkeit seiner Vorwürfe beweisen. Ein verwöhntes Balg, fürwahr! Ein Teil ihrer Sühne musste darin bestehen, jede Kritik, die er an ihr übte, hinzunehmen. Sie nahm den letzten Rest ihres Stolzes zusammen. »Ich werde mich künftig anders verhalten.«
»Das ist eine würdige Antwort«, sagte er.
Gemeinsam mit den Dorfbewohnern räumten Dyannis und Varzil, unterstützt von den Cedestri- Leronyn , die dazu noch in der Lage waren, die schlimmsten Trümmer beiseite. Große Teile des Mauerwerks, innen wie außen, waren erhalten geblieben, obwohl einige Steine durch die gewaltige Hitze gesprungen waren und ersetzt werden mussten. Francisco konnte diese kraftraubende Arbeit noch nicht leisten.
Eines Nachmittags stand Dyannis im Schatten des Turms und starrte hinauf. Ihr Blick folgte dem schrundigen Umriss, den schwarzen Streifen, die immer noch den wunderschönen Stein verunzierten. Ihr erster Eindruck des physischen Bauwerks war der von zerstörter Anmut gewesen, und das hatte sich nicht geändert. Der Cedestri-Turm verkörperte die Welt in all ihrer unvollkommenen Erhabenheit.
Die restlichen Mitglieder des provisorischen Kreises versammelten sich, zwei Männer und eine Frau vom ursprünglichen Turm. Zwei weitere Frauen, darunter die junge Überwacherin, der Dyannis erstmals bei ihrer Ankunft begegnet war, blieben im Dorf, um jene zu heilen, die am schwersten verletzt waren.
»Einen schönen Tag wünsche ich«, sagte Earnan und nickte. Er war der jüngste der drei Cedestri-Arbeiter, jemand mit einem süßen Gesicht, stets bereit, Neues zu ersinnen.
Sie lächelte ihn an, auch Niall und Bianca, obwohl sie die beiden nicht mochte. Niall hasste Autorität und musste immer überredet werden, sein Bestes zu geben, und Bianca, wenngleich durch den Angriff der Aillards ernüchtert, war nicht besser, weil sie lieber Groll zeigte als Geduld. Sie antworteten Dyannis mit einem Nicken, reserviert, aber mit tadelloser
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