Darkover 06 - Die Flamme von Hali
Wahrheitsbanns verschwand. Eduin nahm Saravio an den Schultern und zwang ihn, ihn anzusehen. »Du musst sie beruhigen. Beschwöre Naotalba herauf, und bringe ihnen Frieden. Nur dann können wir ihren Feind besiegen.«
Obwohl er in dem Lärm kaum seine eigenen Worte hören konnte, sah Eduin das Aufblitzen von Verstehen in Saravios Gesicht. Saravio stand auf und ging in die Mitte des Raums. Die Menge teilte sich für ihn. Soldaten senkten ihre Waffen. Höflinge machten Platz. Dom Rodrigo, der versuchte, sich dem Griff eines Soldaten auf einer und dem eines jungen Adligen auf der anderen Seite zu entziehen, hörte abrupt auf, sich zu wehren.
Saravio hob die Arme und begann zu singen.
» Herrin der Sternenlosen Nacht,
Ruf uns in deinen Schatten,
Nimm uns in dein Dunkel auf,
Hol uns in deinen Schatten .«
Einen Augenblick lang sah Eduin nur Weiß, und das vertraute Gefühl des Wohlbehagens breitete sich in ihm aus. Es war zu viel, dachte er, und dann konnte er überhaupt nicht mehr denken.
Er stand wieder in dem grauen Wald, wo weidenartige Bäume ihre, bleichen Äste zum Himmel reckten. Von fern erklang leise Musik und war dennoch in einem Schwingen sogar in seinen Knochen zu spüren. Chieri bewegten sich in der gelassenen Kompliziertheit des Tanzes durch den Hain. Sie tanzten um ihn herum, grüßten ihn mit ihren strahlenden Augen, berührten ihn mit Fingerspitzen oder Strähnen ihres langen, offenen Haars. Er ging durch ihre Mitte, gefangen im Rhythmus ihrer Bewegung. Die Zeit selbst schien still zu stehen. Die Traurigkeit und Schönheit des Liedes quälte ihn mit ihrer Süße. Eine Gestalt stand inmitten der Tanzenden, in einen Umhang von der Farbe des Schattens gehüllt.
Als Eduin die Augen öffnete, sah er, wie sich Ordnung im Chaos ausbreitete. Waffen wurden gesenkt. Einige saßen auf dem Boden, die Köpfe zurückgelehnt. Romilla hatte sich zu Saravios Füßen niedergeworfen und schluchzte. Mhari stand auf und ging zu ihrer Herrin, um ihr aufzuhelfen.
Lord Brynon befahl, dass Dom Rodrigo weggebracht und scharf bewacht werden solle. Der Raum leerte sich rasch. Eduin wusste, dass schon in einer Stunde die Geschichte dessen, was hier geschehen war, nicht nur in der Burg und in den Dörfern der Umgebung verbreitet werden, sondern sich auch auf dem Weg nach Valeron befinden würde.
Als Lord Brynon sich umdrehte, um den Saal zu verlassen, winkte er Eduin und Saravio zu. »Ich möchte mit euch beiden allein sprechen.«
Ein paar Minuten später standen sie vor ihm in einem kleinen Wohnzimmer, das eher für vertrauliche Familienbesuche als für solch grimmige Angelegenheiten geeignet war. Ein kleines Feuer strahlte schwache Wärme aus. Ein Diener legte rasch mehr Holz nach, entzündete eine Reihe von Kerzen und zog sich dann zurück.
»Nach allem, was ich gesehen und gehört habe«, sagte Lord Brynon nachdenklich, »habe ich nun tatsächlich Grund anzunehmen, dass die Heimtücke des Arztes nicht auf ihn allein zurückzuführen ist. Obwohl er es abstreitet, kann ich nicht glauben, dass er nur auf eigene Veranlassung gehandelt hat. Es mag seine Hand gewesen sein, die das Gift benutzt hat, aber dahinter steckt der Wille eines anderen. Er glaubte, dass er nur seine Pflicht gegenüber dem Haus erfüllte. Jemand muss seine Loyalität für seine eigenen Zwecke benutzt haben.«
Eduin wartete einen Augenblick, dann sagte er: »Ich glaube, wir wissen, wer das war.«
Lord Brynon verzog das Gesicht, ging zu dem Sessel neben dem Feuer und setzte sich. »Ihr wart derjenige, der die Namen von Varzil Ridenow und König Carolin Hastur ins Spiel gebracht hat. Bis zu den heutigen Ereignissen hätte ich gesagt, sie haben nichts mit uns zu tun. Aber jetzt frage ich mich, ob das wirklich so ist. Warum habt Ihr sie erwähnt? Was wisst Ihr darüber hinaus?«
»Varzil der Verfluchte hat sich schon lange dem Willen Naotalbas widersetzt«, sagte Saravio.
»Er meint damit«, erklärte Eduin, »dass diese beiden Männer versuchen, das Gleichgewicht der Macht zu verändern, mit diesem Gerede von einem Pakt, der Könige und Lords veranlassen soll, ihre besten Möglichkeiten zur Verteidigung aufzugeben. Welchen anderen Zweck könnte das haben, als ihnen schließlich die Herrschaft über ganz Darkover zu verschaffen?«
Bei Eduins Worten nickte Lord Brynon nachdenklich. »Das Reich der Hasturs ist tatsächlich sehr mächtig geworden. Nun, da Carolin seinen Thron zurückhat und sich ihm
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