Darkover 06 - Die Flamme von Hali
als er aufstand und den Stall verließ.
Schaudernd drehte er sich um und schaute zurück zur Innenstadt. Dort erhob sich die Zitadelle Hastur mit ihren Türmen hoch über bescheidenere Gebäude. Er dachte an das Leben, das er verloren hatte, an warme, helle Räume, dieses klare, erfrischende Gefühl beim Benutzen seines Laran , die Intimität und Kameradschaft des Kreises. All das hatte er für immer verloren.
Der Zwang erwachte und riss an ihm wie ein wildes Tier. Bald würde nichts mehr von ihm übrig sein. Es würde ihn verschlingen, Herz, Träume und Willenskraft. Wie als Reaktion darauf krallte sich der Durst in seinen Hals.
Trinken… , ah ja… , murmelte der verführerische Gedanke. Trinken und vergessen…
Und wieder einmal mit diesem Dröhnen in seinem Kopf und Galle im Mund aufwachen. Erneut trinken, wenn der Zwang ihn heftiger bedrängte, jedes Mal länger und ekelerregender, jedes Mal mit weniger Hoffnung für die dahinschlurfende, versoffene Gestalt, zu der er geworden war. Diesmal würde kein sanftmütiger Fremder ihn aus der Kälte holen, kein Traum…
Kein Traum .
Er wollte nicht sterben. Und ganz besonders wollte er nicht allein sterben. Er wusste nicht, was er tun sollte. Er wusste nur, dass er nicht so weitermachen konnte wie bisher.
Der Traum selbst war verschwunden, weggefegt von pochendem Schmerz. Aber er hatte es tatsächlich geträumt. So viel musste er glauben, oder er würde den Verstand verlieren.
Er glaubte keinen Augenblick, dass die Vision der Wahrheit entsprach. Es war einfach nur eine Illusion gewesen, geboren aus seiner inneren Sehnsucht. Saravio hatte offenbar einen Zustand außergewöhnlicher Euphorie oder Beeinflussbarkeit bei ihm bewirkt, mit einer Technik, die er bei seiner Ausbildung in Cedestri gelernt hatte. Vielleicht hatte auch das Kirian eine Rolle gespielt.
Der Traum… und dann diese gesegneten Tage der Freiheit. Er musste herausfinden, wie das zustande gekommen war.
3
Eduin blieb vor der verwitterten Tür stehen, eine Hand erhoben. Es war dumm, hierher zurückzukehren wie eine Motte zur Kerzenflamme, aber ein tiefer, wortloser Impuls hatte sich über alle Vernunft hinweggesetzt, über alle Überlebensinstinkte. Vielleicht brachte er es nach so vielen Jahren ohne Hoffnung, so vielen Jahren des langen, finsteren Abstiegs in die Verzweiflung, einfach nicht fertig, sich von dieser einzigen strahlenden Erinnerung loszureißen, von diesem Bild der Chieri , die unter den Monden tanzten, und der Erinnerung, einer von ihnen gewesen zu sein. Bevor Eduin klopfen konnte, wurde die Tür geöffnet. Saravio stand vor ihm, die Kapuze ein wenig schief über das rote Haar gezogen, als hätte er sie gerade erst aufgesetzt. Er packte Eduin vorn an der Jacke, an der immer noch Strohreste hingen, und zog ihn nach drinnen. »Sind sie dir gefolgt?«
»Niemand folgt mir.«
»Bist du sicher?«
»Ja, ich bin sicher.« Eduin trat einen Schritt zurück und zog Saravios Hände von seiner Jacke. »Glaubst du, ich würde es nicht wissen?«
»Ja, selbstverständlich. Du würdest es wissen.« Saravios Haltung wurde nachgiebiger. »Hast du Hunger?«, fragte er, als wäre Eduin erst vor ein paar Stunden weggegangen und nicht vor vier Tagen.
Saravio teilte den Laib Brot und bedeutete Eduin, sich neben ihn auf den Strohsack zu setzen. Eduin biss in das Brot und fand unter der trockenen Kruste eine dichte, zähe Masse. Gemahlene Nüsse und angenehm bittere Körner waren in den Teig gemischt. Er wusste aus Erfahrung, dass eine solche Mischung eine lange Zeit sättigte.
Hinter seinen Augen drängte der Zwang. Versagt… Du hast versagt…
Die beiden begannen sich zu unterhalten, aber Eduin blieb vorsichtig. Sie sprachen über unwichtige Dinge, das trockene Nussbrot, das Wetter an diesem Tag, der Preis für Salz. Eduin erfuhr, wie Saravio seinen Lebensunterhalt verdiente. Seine Stimme war zwar nicht ungewöhnlich, aber er hatte hier und da ein paar Münzen verdient, indem er für Kranke sang. Die Gefährtin des Mannes, der das Gasthaus Zur weißen Feder betrieb, hatte eine Tochter gehabt, die an einer auszehrenden Krankheit gestorben war. Dieses Kind hatte vor Schmerzen nicht schlafen können. Die Mutter hatte nichts tun können, denn sie hatte nicht genug Geld für einen der Ärzte in der Stadt gehabt, nicht zu reden von den viel höheren Honoraren der wenigen Leronyn , die bereit waren, solche Arbeit anzunehmen.
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